SWR2 Wort zum Tag

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Da ist das Ding. Endlich steht die goldene Generation unter Jogi Löw ganz oben und macht eine ganze Nation überglücklich. Was habe ich gelitten während der 112 Minuten des Finalspiels. Diesmal musste es doch endlich klappen für Deutschland.

 

Aber Moment: Nation? Nationalstolz? Da war doch was. Steht es uns zu, nach der mehr als problematischen deutschen Geschichte solche Gefühle zu hegen? Manchen sind die vielen schwarz, rot, goldenen Fahnen immer noch suspekt und es beschleicht sie das Gefühl, dass hier der national-deutsche Chauvinismus über die Fußballfans wieder salonfähig wird.

 

Ich kann diese Bedenken verstehen, gerade weil ich erlebt habe, wenn sogenannte Fußballfans den Sport als Vorwand nutzen, um ihre Aggressionen auszuleben. Mir wird übel, wenn ich daran denke, welche Ausmaße dies zum Teil annimmt, vor allem innerhalb der Stadien. Als ich kürzlich bei Deutschland-Ghana mit Freunden auf der Berliner Fanmeile mitfieberte, standen wir zunächst in der Nähe von sehr aggressiven „Fans“, die rassistische Sprüche brüllten und eine furchtbare Atmosphäre verbreiteten. Zum Glück reichte es, ein paar Meter weiterzugehen, um das Spiel zusammen mit zehntausenden gut gelaunter, friedlicher Fußballanhänger zu erleben. All diese Menschen verbanden mit schwarz, rot, gold eben gerade nicht das Deutschland, das mit Stiefel und Pickelhaube durch die Welt geht, sondern eines, dass feiern möchte, gute Laune verbreiten und die Mannschaft anfeuern, weil gemeinsam nervös sein und zusammen jubeln eben so schön ist. Am schönsten war es dabei, diejenigen zu sehen, die trotz offensichtlichem asiatischem, afrikanischem oder orientalischem „Migrationshintergrund“ in den deutschen Farben oder Trikots gekleidet waren und damit den nationalen Symbolen den letzten Rest ihres Schreckens nahmen.

 

Wenn das der Fußball leisten kann, wenn sich alle mitfreuen dürfen, die sich mitfreuen wollen, dann ist es gut, Deutschland-Fan zu sein. Dann werde ich mir auch weiterhin die deutschen Farben auf die Wange malen, mir eine Deutschland-Fahne umhängen und für unser Team auf den Public Viewing Plätzen mitfiebern. Niemand wird uns dann übel nehmen, für unser Team zu sein und nicht neutral. Für 90, oft auch 120 Minuten können wir Gegner, Rivalen sein, solange uns klar ist, was innerhalb und außerhalb des sportlichen Wettkampfs wirklich zählt: Respekt, Toleranz und Solidarität über die nationalen und kontinentalen Grenzen hinweg.

 

Geht es Ihnen auch so: Ich habe ganz schön Entzugserscheinungen nach fünf Wochen WM-Fieber. Zum Glück ist in zwei Jahren schon wieder Europameisterschaft.

 

 

 

 

 

 

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