SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

In diesen Tagen habe ich das Medaillon wieder in die Hand genommen. Es muß jetzt über 100 Jahre alt sein. Mein Großvater hat es aus dem 1. Weltkrieg mit nach Hause gebracht. Er musste im Elsaß kämpfen, und hat mit einer elsässischen Familie Freundschaft geschlossen. Beim Abschied haben sie ihm das Medaillon mit der Muttergottes geschenkt, für seine Frau, meine Großmutter. Sie hat es zu besonderen Anlässen getragen – ich sehe sie noch vor mir, und irgendwann habe ich es geerbt. Es bedeutet mir viel.

Da haben Menschen den äußeren Zwang, Feinde sein zu müssen, unterlaufen, indem sie sich als Menschen begegnet sind. Der deutsche Soldat hat die elsässische Familie erlebt, und die hat in ihm den Mann gesehen, der getrennt ist von seiner Familie und seiner Frau, die er liebt. Das Bild der Muttergottes auf dem Medaillon weist darauf hin, daß sie wohl auch der Glaube verbunden und diese Rollen als Feinde außer Kraft gesetzt hat.

Als mein Großvater schon lange tot war, habe ich den Hartmannsweilerkopf besucht, jenen Vogesengipfel zwischen Freiburg und Basel, auf dem mehr als 20000 Soldaten gestorben sind. Auf einer Fläche von wenigen Hektar haben sich hier Franzosen und Deutsche belauert und bekämpft, oft nur wenige Meter voneinander entfernt. Heute noch sind die Gräben und Unterstände zu sehen. Menschenfresserberg wird er deshalb auch genannt, der Hartmannsweilerkopf.

Am 3. August, am kommenden Sonntag also, wollen Staatspräsident Francois Hollande und Bundespräsident Joachim Gauck dort gemeinsam den Grundstein zu einer deutschfranzösischen Gedenkstätte legen. Hier soll über die Kriegsgeschichte dieses Ortes aus beiden Perspektiven informiert werden. Die Nachkommen der Kriegsparteien sind hier verbunden in Trauer, Schrecken und Scham.

Für mich gibt es dieses Medaillon. Erinnern hat viele Facetten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17972
weiterlesen...