Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Es ist der 03. August 1492. Früh am morgen sticht Christoph Kolumbus mit drei Schiffen in See. Das Ziel: Der Seeweg nach Asien, nach China und Indien. Was Kolumbus allerdings ansteuert, ist der amerikanische Kontinent. Hier wird er landen und die karibischen Inseln für die spanische Krone in Besitz nehmen.

Heute wissen wir: Kolumbus war nie der Entdecker Amerikas. Vor ihm zogen die Vorfahren der Indianer von Asien nach Amerika und auch die Wikinger hatten 500 Jahre vor Kolumbus den Kontinent betreten. Doch mit dem spanischen Eroberer beginnt eine neue Zeitrechnung. Denn erst mit und nach Kolumbus landen die Europäer dauerhaft auf dem neuen Kontinent. Mit fatalen Folgen. Der Mönch Bartolomé de Las Casasberichtet glaubhaft, dass in den Jahrzehnten nach Kolumbus Ankunft etwa 75 Millionen Einheimische sterben: An Krankheiten, die die Eroberer einschleppen, in Kriegen und an der Gewalt der brutalen Kolonialisten.

Heute sprechen die Überlebenden der Indiovölker Südamerikas nicht von der Entdeckung ihres Kontinents, sondern von einer Invasion. Nicht zu unrecht. Ihr Land wurde widerrechtlich besetzt, Mensch und Natur ausgebeutet, Staaten zerstört und die Kultur geplündert.

Die Geschichte der Entdeckung Amerikas ist deshalb aus heutiger Sicht die Geschichte einer verpassten Entdeckung. Kolumbus hatte einen ganzen Kontinent für Europa erobert. Aber es hat es versäumt, den Menschen zu entdecken, den Anderen. Kolumbus selbst betrachtete die Einwohner der neu entdeckten Inseln nur unter einem Blickwinkel: Als Untertanen der spanischen Krone. Als Objekte von Herrschaft. Als Arbeitskräfte. Wie diese fremden Menschen in einer neuen, anderen Welt leben und lieben, wie sie fühlen und wann sie lachen, was sie denken und glauben, dafür hatten Kolumbus und die Eroberer nach ihm keine Augen. Die nahe liegende Idee, dass auch diese Menschen Geschöpfe Gottes sind, dass auch sie ihr Leben leben dürfen,  diese Idee kam damals nur wenigen. Für mich liegt gerade in dieser Blindheit das Erbe der Eroberung Lateinamerikas. Dass ich heute den Anderen als etwas Besonderes ansehen kann, als Menschen, wie ich selbst einer bin.

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