SWR2 Wort zum Tag

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In der jüdischen Tradition heißt ein Altersheim: „Elternheim“. Weil es ein Zuhause sein soll, in dem auch die eigenen Eltern gut aufgehoben wären, wenn sie nicht mehr allein leben können. Allein schon die Bezeichnung ändert etwas in meiner Wahrnehmung: Wenn ich von Altersheimen rede, dann tue ich das mit Distanz und sehr sachlich. Wenn ich ein „Elternheim“ beschreibe, schwingen schon im Begriff Gefühle und Beziehungen mit, es rückt mir nahe, es geht mich etwas an. „Eltern“ ist ein Beziehungswort.
Das Gebot, die Älteren zu ehren, ist in den zehn Geboten festgehalten. Da wird eine Beziehung beschrieben, die in einen Generationenvertrag mündet: „Du  sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass du lange lebest in dem Lande, das dir der Herr, dein Gott, geben wird.“ (2. Moses 20,12) Das ist kein Text für Jugendliche in der Pubertät, denen man Folgsamkeit verordnen will. Sondern ein Aufruf an die Generation, die Verantwortung für die Älteren in einer Gesellschaft übernimmt. Die Generationen sorgen füreinander: Auf diesem Vertrag bauen Gesellschaften auf. Nicht nur im europäischen Sozialstaat, in allen Kulturen ist das so.
Heute – und ganz sicher auch in früheren Jahrhunderten – sind viele Familien überfordert, wenn sie diesen Generationenvertrag allein in ihren privaten Lebensumständen einlösen sollen: Die Wohnungen sind zu klein, die Familien wohnen nicht mehr zusammen, die ältere Generation ist mobil und selbständig und erreicht viel später als früher den Punkt, an dem sie auf Hilfe angewiesen ist.
Aber auch in der gesellschaftlich organisierten Umsetzung des Generationenvertrages bleibt es aus religiöser Sicht eine Aufgabe, die Älteren und Hilfebedürftigen zu besuchen. Diese Besuche heiligen das Leben – nicht nur das Leben derer, die sie empfangen, sondern auch derer, die den Besuch machen.
Dieses Verständnis drückt sich in der jüdischen Tradition in einem religiösen Brauch aus: Der Besuch bei Älteren und Hilfebedürftigen ist allein durch das Tun an sich heilig. Allen anderen Taten, mit denen man Gutes tut und Gott die Ehre gibt, wird ein Segensgebet vorausgestellt. Beim Besuch von Älteren und Hilfebedürftigen ist das im religiösen Ritual nicht vorgesehen, es ist nicht notwendig. Denn die Tat an sich ist unverwechselbar und etwas Heiliges.
Ein heiliger Moment: Wer besucht wird erfährt: Ich bin noch nicht vergessen. Ich bin es wert, Zeit und Aufmerksamkeit geschenkt zu bekommen. Ich habe Anteil an dem, was um mich herum ist. Und wer besucht spürt: All das kommt zu mir zurück, wie ein Echo, jetzt oder später.

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