Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Wahret das Recht und übt Gerechtigkeit“. Wie ein roter Faden zieht sich diese Forderung durch die Bibel. Ohne Recht und Gerechtigkeit gibt es kein menschenwürdiges Zusammenleben. Thomas Buergenthal hat als Kind erlebt, was es bedeutet, wenn Recht und Gerechtigkeit mit Füßen getreten werden. Er war vier Jahre alt, als seine Familie mit ein paar Koffern vor den Deutschen flüchten musste. In Birkenau wurde er von seiner Mutter getrennt, sein Vater wurde umgebracht. Als der Krieg vorbei war, zog der Zehnjährige in ein verlassenes Backsteinhaus. Am nächsten Tag warf er seine Häftlingskluft durchs offenen Fenster in den Garten. Dann wusch er sich, trocknete sich ab, schaute auf seinen Arm mit der eintätowierten Nummer und dachte: „Papa wird stolz auf mich sein.“ Und wie bei einer Meldung zum Rapport rief er: “B-2930 hat Auschwitz, Sachsenhausen, das Ghetto von Kielce und Deutschland überlebt.“
Lesen und schreiben konnte er mit zwölf Jahren noch nicht. Als der Krieg zu Ende ging, kümmerten sich polnischen Soldaten um ihn, steckten ihn in eine Miniaturuniform, brachten ihm das Pistolenschießen und Wodkatrinken bei, bis einer von ihnen auf die Idee kam, dass das Kind in ein jüdischen Waisenhaus vielleicht besser aufgehoben wäre. Durch eine glückliche Fügung fand er seine Mutter wieder und er zog zu ihr nach Göttingen, dann nach Amerika.
Thoma Buergenthal ist heute Mitglied des UN Menschenrechtsausschusse und seit 2000 amerikanischer Richter am Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Immer wieder fragt er sich, „was in uns Menschen es ist, das uns erlaubt oder uns dazu treibt, auf solch grausame und brutale Weise zu handeln.“ Aber wenn er sich an das erinnert, was er als Kind erlebt hat, denkt er nicht mehr an Rache. Nur unter dem Vorzeichen von Recht und Gerechtigkeit kann die Welt einen menschenwürdige werden. „Wir können nicht einfach aufhören mit dem Versuch, eine Welt zu schaffen, die sich auf Recht und Gerechtigkeit gründet, ganz gleich, wie langsam wir dabei vorankommen. Ich zwinge mich“, schreibt Buergenthal, „die Hoffnung nicht aufzugeben.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=1795
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