SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Wozu brauchen wir den Sonntag eigentlich? Immer öfter hört man, dass die Arbeits- und die Verkaufsruhe an diesem Tag abgeschafft werden soll. In unserer modernen Gesellschaft sei das hinderlich, heißt es.
Ich finde, unsere Gesellschaft braucht Sonn- und Feiertage. Darin hat mich bestärkt, was mir ein Bekannter von einer Kreuzfahrt erzählt hat. Zwei Erfahrungen hat er dabei besonders hervorgehoben. Zuerst, dass der Heilige Abend ohne eine Form organisierter Feier, ohne Weihnachtslieder und Gottesdienst vorbei gegangen ist. Er war ein Tag wie jeder andere. Wahrscheinlich wollten sich die Teilnehmer die Gefühle ersparen, die eine Weihnachtsfeier ausgelöst hätte, denke ich mir.
Mehr bewegt hat meinen Bekannten etwas anderes. Bei einem Tauchausflug ist ein Passagier tödlich verunglückt. Auch diesmal war es, als ob nichts geschehen wäre. Es passierte nichts. Keine öffentliche Form des Abschieds, keine Zeremonie des Gedenkens. Schon gar keine Rede von Gott, der alles in seiner Hand hält. Die einzige Reaktion: Bei den Mahlzeiten wurde fortan ein Gedeck weniger aufgetragen.
Mich hat das erschreckt. Kann man einfach alles verdrängen und vermeiden, was einem Fragen stellt? Ich denke, Menschen nehmen Schaden, wenn sie die Fragen ihres Lebens nicht bearbeiten können, auch die schmerzhaften Fragen. Ich jedenfalls brauche Zeiten, in denen ich Raum und Gelegenheit habe, die Sinn- und Lebensfragen meines Daseins zu stellen und Antworten zu finden. Ich fürchte mich vor einer Gesellschaft, die sich diese Formen und Zeiten nicht mehr gönnt.
Der Sonntag ist solch eine Zeit für mich. Mit dem Sonntag schenkt Gott mir Zeit, um über das Leben nachzudenken, und auch zu hören, was andere darüber denken, Zeit, um im Kontakt mit Gott Antworten und Ermutigungen zu suchen. Dazu sind auch die Trauerfeiern und Weihnachtsgottesdienste da – und auch jeder Sonntag.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17938
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