SWR4 Abendgedanken

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In diesem Jahr feiern mehr Menschen als sonst ihren fünfzigsten Geburtstag. Das hängt ganz einfach damit zusammen, dass 1964 ganz viele Kinder in Deutschland geboren wurden. Über 1,3 Millionen. Das sind mehr als jemals sonst nach dem Zweiten Weltkrieg. Fast zwanzig Jahre waren vergangen, seit dem Ende des nationalsozialistischen Wahnsinns. Erst dann, nach einer Generation haben die Überlebenden, die Jungen von damals, endlich neuen Mut gefasst. Und der zeigt sich eben auch darin: in diesem kleinen Babyboom auf deutschem Boden.

Ich gehöre auch zu diesem geburtenstärksten Jahrgang. Er hat für die junge Bundesrepublik eine ganz schöne Herausforderung bedeutet. Aber ich habe mir darüber früher nie Gedanken gemacht. Dass wir so viele waren, war schön. Ich hatte immer genügend Spielkameraden. Vom Neubaugebiet, wo wir gewohnt haben, bis zur Schule waren es gut zwei Kilometer, fünfundzwanzig Minuten Fußweg. Bus gab es keinen; die Eltern hatten anderes zu tun, als uns mit dem Auto hin zu fahren. Außerdem war ich ja nicht der einzige. Als Gruppe zu fünft oder sechst haben wir die Strecke gemeinsam jeden Tag zurück gelegt. In der ersten Klasse waren wir eine Gruppe von 40 Kindern. Die Schule platzte aus allen Nähten, ein Neubau war zwar geplant, aber noch nicht fertig. Der Staat und die Verwaltungen kamen bei solchen Menschenmassen gar nicht hinterher. In meinem Abiturjahrgang waren wir 120 und am Gymnasium damals über 1400 Schüler. Auch die Uni hatte irgendwie mit uns nicht gerechnet. Jedenfalls warendie Hörsäle hoffnungslos überfüllt, als wir Anfang der 80er zu studieren anfingen.

Heute ist mein Jahrgang eine der tragenden Säulen unserer Gesellschaft. Wir stehen mitten im Berufsleben, oft an einer verantwortlichen Stelle. Mit uns muss man rechnen, wenn es etwas zu entscheiden oder zu verändern gibt. Auch da, wo es um ein ehrenamtliches Engagement geht, sind viele Vertreter meines Jahrgangs oftganz vorne mit dabei. Das ist gut so. Und es tut dem Leben in unserem Land gut. Viele können eben auch vieles.

Im Durchschnitt sind in den vergangenen Jahren in Deutschland gerade mal halb so viel Kinder geboren worden wie 1964. Das ist wenig. Zu wenig. Ich kann nur betonen: Mir hat es nicht geschadet, dass wir immer ein großer Haufen, eine bunte Truppe waren, wir 64er. Im Gegenteil: Es war wunderbar. Und ist es noch immer. Unser Land jedenfalls denke ich, könnte mal wieder einen Babyboom vertragen.

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17930
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