SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

„Ich an deiner Stelle würde das ganz anders machen!“ sagt eine Bekannte zu mir. Ihr erscheint es ganz einfach, wie eine Sache von mir geregelt werden müsste.
Und dann räumt sie ein: „Naja, ich bin nicht an deiner Stelle“.
Eine andere sein können - manchmal scheint das verlockend. Auf den ersten Blick könnte das ganz einfach sein.
Manchmal aber wird es sogar gefährlich, wenn man es versucht. Die Bibel erzählt von einem ziemlich missglückten Versuch, an die Stelle eines anderen zu treten. Als Jakob seinen Bruder um das Erstgeburtsrecht betrügt.
Für ein Linsengericht hat Jakob mit seinem Bruder Esau getauscht, als es darum ging, sich vom Vater segnen zu lassen. Und als es dann so weit war, musste Jakob einige Anstrengung darauf verwenden. Er wollte dem fast blinden Vater vorgaukeln, dass nicht Jakob sondern sein Bruder Esau vor ihm steht. Er musste seine Stimme verstellen und seine glatte Haut mit einem Fell kaschieren. Der Vater hat sich ein wenig gewundert. Hat ihm trotzdem seinen Segen gegeben. Aber dann ist die Sache aufgeflogen. Esau war natürlich stocksauer. Und Jakob musste fliehen.
Und was er da angerichtet hat, ist ihm vielleicht erst richtig klargeworden, als er später selbst unter einem solchen Betrug zu leiden gehabt hat. Als er Rahel heiraten wollte, die er liebte. Und man verheiratete ihn an ihrer Stelle mit Lea, der älteren Schwester.
Stellvertretung bei den Menschen geht nicht ohne Abstriche. Und manchmal geht es überhaupt nicht.
Im Laufe seiner wechselhaften Geschichte erlebt Jakob, dass Gott zu ihm ganz persönlich gekommen ist. Gott konnte Jakob ja nichts vormachen. Brauchte er auch nicht. Denn Gott hat ihn als den gesehen, der er war: Der Betrogene, der Betrüger, der Flüchtling, der der seinen Betrug bereut, der der viele Jahre dafür schaffen musste, anerkannt zu werden und vieles mehr. Jakob eben. Und kein anderer. Mag sein, dass es verlockend scheint, vor den Menschen zuweilen anders zu sein als ich bin oder an die Stelle eines anderen zu gelangen. Vor Gott brauche ich das nicht. Da bin ich immer ich selbst. Wie gut!

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