SWR2 Wort zum Tag

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Elke Mildner

Worin besteht der Urtraum meines Lebens? Ich weiß gar nicht, ob ich diese Frage spontan beantworten könnte. Elke Mildner in Rottenburg am Neckar, die ich seit Jahren kenne, nennt  ihren „Urtraum“, ohne zu zögern: Obdachlosigkeit bekämpfen. Seit 35 Jahren ist Elke Mildner Vertrauensperson, Rettungsanker für Menschen, die gestrandet sind – jedenfalls nach herkömmlichen Maßstäben. Alkoholiker, Obdachlose, Strafentlassene mit zerstörten Lebensgeschichten und quälenden Alpträumen. Menschen, die von sich sagen: „Keiner will mich mehr“: Sie machen bei der kleinen Person mit den strahlenden Augen, dem großen Herzen und dem eisernen Willen eine völlig neue Erfahrung: Ich bin willkommen. „Was heilt, ist die Beziehung“, davon ist diese Frau überzeugt.

Elke Mildner hat im Schatten des Rottenburger Doms viele Wohnungen und Häuser gekauft oder gepachtet, die sie mit ihren Freunden zusammen renoviert und wohnlich macht. Manchmal hatte sie sich so verschuldet, dass sie sich nicht einmal die Schuhe neu besohlen lassen konnte. Sie hat eine Stiftung gegründet, therapeutische Wohngemeinschaften, einen Förderverein – sie ist ungemein kreativ und durchsetzungsfähig. Was sie im Tiefsten motiviert, das machen Erlebnisse deutlich, die sie eher am Rande erzählt. So etwa die Begegnung mit Alfred, einem Mörder, der zehn Jahre im Knast verbracht hat, oft gefesselt in einer Beruhigungszelle, weil er so gewalttätig war. Alfred kommt eines Tages zitternd am ganzen Leib zu Elke Mildner. Er habe in einer Resozialisierungseinrichtung fast den Pfarrer erwürgt, sagt er. „Pfarrer erwürgt man nicht“, hat Elke Mildner geantwortet und ihn bei sich aufgenommen. 14 Jahre lang, bis zu seinem Tod ist Alfred bei ihr geblieben und wurde einer ihrer treuesten Helfer. „Zu erleben, dass Menschen wieder Menschen werden, das ist Glück“, sagt sie.
Elke Mildner gehört zu den starken Frauen, von denen die Kirche lebt. Allerdings sieht die studierte Theologin und ehemalige Religionslehrerin vieles in ihrer Kirche sehr kritisch. „Die Armen kommen in unseren Gemeinden nicht vor“, sagt sie. „Das ist ein großes Problem. Und sie erwarten von der Kirche nichts mehr, sie haben kein Vertrauen mehr.“ Die Kirche müsse wieder Zeichen und eine Sprache finden, mit denen sie gerade den Armen nahe sei. Und: neben jedes Ordinariat und jeden Dom gehöre ein Armenhaus. „Wenn wir zu verstehen versuchen, dass uns in diesen Menschen wirklich Christus begegnet, dann sind wir auf einem guten Weg, dann liegt ein Segen drauf.“ Aus dieser Quelle schöpft Elke Mildner ihre Kraft.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17773
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