Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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 Bileam gilt als ein sehr weiser Mann. Deshalb soll er einen wichtigen Auftrag ausführen. Er setzt sich also auf seinen Esel und reitet los. Unterwegs will ihm Gott etwas ganz Wichtiges mitteilen. Aber der Einzige, der das merkt, ist der Esel. (Num22,22ff) Vor kurzem erst habe ich herausgefunden, warum die Bibel diese Geschichte erzählt und dass sie tatsächlich recht haben kann.

Ich bin nämlich selbst mit einem Esel auf Wanderung gegangen.

Das dauert schon mal seine Zeit. Denn der Esel hat seinen eigenen Takt. Saftiges Gras am Wegrand? Der Esel steht und frisst – der Mensch steht und guckt. Pause. Ich schaue mir die Umgebung an. Dann geht es weiter. Ich höre die Hufe klappern, das Schnauben ab und zu ist irgendwie beruhigend, auch der Geruch des Tieres. Ich beobachte: was macht er da mit den Ohren? Was hört er, was ich nicht höre? Was interessiert ihn da gerade? Dann wieder unvermittelt: Stopp! Kopf nach unten, fressen – der Mensch hat Pause. 45 geschlagene Minuten lang. Ich muss zugeben: zunächst lache ich noch, dann werde ich unruhig, schließlich kapituliere ich und habe Zeit. Und so wie er einfach so stehen geblieben ist, geht mein Esel dann auch einfach so wieder weiter. Vielleicht ist es dem Bileam in der Bibel genau so gegangen. Und als er gezwungenermaßen Zeit hatte zum Nachdenken, da ist ihm klar geworden, was Gott ihm sagen wollte. Zum Glück ist der Esel zur rechten Zeit stehen geblieben. OK, so dramatisch war es bei mir jetzt nicht.

Ich habe 45 Minuten geschaut, geruht, mit Leuten geredet, Pause gemacht.  Klar -  die Wanderung hat anderthalb Stunden länger gedauert als veranschlagt, aber ich lebe noch. Es hat nicht geschadet, im Gegenteil. Und ich frage mich: wer ist hier eigentlich der Esel? Und wenn Sie jetzt sagen: aber er hat dir doch die Zeit gestohlen, dann antworte ich: im Gegenteil, er hat mir Zeit geschenkt.

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