SWR3 Gedanken

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Zu Beginn des letzten Jahrhunderts hielt der Maler Marc Chagall den wöchentlichen Ruhetag der Juden, den Sabbath, in einem Bild fest. Es zeigt eine kleine Gruppe von Menschen, die bei Kerzenschein in einem Zimmer sitzen. Zwei Figuren haben den Kopf an die Sessellehne gelehnt und schlafen, ein dritter sitzt zusammengesunken auf seinem Stuhl und scheint vor sich hin zu dösen. Von Aktivität jedenfalls keine Spur. Für den heutigen Betrachter strahlt das Bild eine geradezu verstörende Ruhe, ja ein Gefühl von Langeweile aus. Für nicht Wenige wohl eine Horrorszene, denn so wie auf diesem Bild soll unser freier Tag ja auf gar keinen Fall ablaufen. Darum wohl platzt unsere Stadt vier mal im Jahr aus allen Nähten, wenn mal wieder verkaufsoffener Sonntag ist. Bummeln und Shoppen ist eben Freizeitspaß, warum nicht auch am Sonntag? Da ist es schon fast ärgerlich, wenn sich die großen christlichen Kirchen nun noch als Spaßbremser betätigen. Gegen die weitere Ausweitung der Ladenöffnung am Sonntag wollen sie nämlich vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Sie berufen sich dabei auf den Artikel 140 unseres Grundgesetzes. Dort heißt es: Der Sonntag ist als Tag der Arbeitsruhe und der ‚seelischen Erbauung’ gesetzlich schützt. Doch was ist eigentlich, wenn die Mehrheit unter Arbeitsruhe und seelischer Erbauung eben nicht mehr eine Szene wie bei Marc Chagall versteht? Wenn Einkaufen für viele zu einer Form von seelischer Erbauung geworden ist? Vielleicht macht so ein Streit vor dem Verfassungsgericht ja deutlich, dass es eben nicht primär um kirchliche Privilegien geht, sondern um ein Stück gemeinsamer Kultur. In der Bibel wurde die Arbeitsruhe vor fast 3000 Jahren einmal als lebensnotwendige Wohltat für den Menschen festgeschrieben. Von Gott selbst legitimiert. Ob wir heute überhaupt noch etwas damit anfangen können, ob wir einen allen gemeinsamen Ruhetag überhaupt noch wollen, das allerdings kann auch kein Verfassungsgericht klären.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=1762
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