SWR3 Gedanken

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100.000 in Syrien, 1 Million in Ruanda. Die ganz genauen Zahlen kennt niemand. Die Zahlen der Menschen, die ums Leben gekommen sind, durch Krieg, Rassenhass, Völkermord. Es sind blanke Horrorzahlen. Doch wenn ich ehrlich bin, macht es für mich tatsächlich einen Unterschied, ob ich da von 100.000 oder einer Million Opfern lese? Es sind Größenordnungen, die selbst beim allerbesten Willen für mich nicht vorstellbar sind. Zahlen wie diese gleichen eher einem gigantischen Gruppenbild. Ein vollbesetztes Olympiastadion etwa, von oben fotografiert. Oder der Blick auf die Zuhörermassen beim letzten Rock am Ring. Ein buntes Meer aus Menschen. Beeindruckend anzusehen, aber wenig konkret.

Leiden muss aber konkret werden, um wirklich anzurühren. Aus dem riesigen Gruppenbild muss erst ein Portrait werden mit einer Geschichte, einem Namen, einem Gesicht. Erst dann wird es für mich wirklich fassbar. Zum Jahrestag des Völkermords in ihrem Land haben die ruandischen Studenten hier in Kaiserslautern zu einem Gedenkabend eingeladen. Die allermeisten von ihnen waren noch kleine Kinder damals, als das Grauen über ihr kleines Land kam. Dennoch tragen etliche von ihnen Erinnerungen mit sich. An jene Verwandte, die heute nicht mehr da sind, weil sie damals Opfer des Massenmordes wurden. An einer Wand des Saals hatten die jungen Leute zwei Tische aufgebaut. Portraitfotos von Angehörigen standen dort, ein Strauß Blumen, brennende Kerzen. Einige wenige von einer Million. Auf diesen Tischen erst wurde das Leiden damals konkret. Es bekam ein Gesicht.

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