SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Lebensbilanzen fallen unterschiedlich aus. Gott muss mir dabei nicht verloren gehen.

„Warum ich kein Christ bin!“ Mit diesen Worten zieht ein Mensch seine Lebensbilanz. Im Alter von 83 Jahren. Von einem christlichen Elternhaus geprägt. Theologisch und philosophisch höchst gebildet. Als er zurückblickt und seine Geschichte mit dem Christentum in den Blick nimmt, gesteht er sich ein: Nein, ein Christ bin ich eigentlich nicht mehr. Und er veröffentlicht seine ausführliche Lebensbilanz in einem Buch.
Dieses Buch von Kurt Flasch ist keine der vielen Abrechnungen mit dem christlichen Glauben. Eher der Rückblick auf eine Liebe, die einem Menschen Stück für Stück abhanden gekommen ist. Den Sinn seines Lebens habe er trotzdem nicht verloren, sagt er. Und den Streit der Christen untereinander vermisse er nicht. Sein Fazit lautet: „Ich habe meine Fröhlichkeit nicht eingebüßt“.
Die Argumente, die Flasch äußert, sind nicht wirklich neu. Widersprüche in der Bibel. Zweifel an Wundern und an der Auferstehung. Probleme mit dem Wahrheitsanspruch der Religionen überhaupt. Über vieles würde ich gerne mit ihm lustvoll den Streit riskieren. Weil ich mit meiner Lebensbilanz zu einem anderen Ergebnis komme. Fragen haben auch andere Menschen. Neu, vielleicht auch mutig und intellektuell ehrlich ist die Konsequenz, die hier ein Mensch am Ende zieht. Aber ich meine, sie ist alles andere als zwangsläufig.
Es gibt nämlich noch einen anderen Weg, das Leben zu bewerten. Und der führt nicht selten zu einem andern Ergebnis: Es ist die Bilanz der Liebe. Und die der Schönheit, die sich nicht rechnen muss. Wahrheit, auch die Wahrheit über Gott, lässt sich am besten in der Schönheit der Poesie ausdrücken. Wie ein Schlupfloch zurück in den Glauben hält Flasch sich am Ende den Rückweg offen. Er leiht sich dazu Worte von Hölderlin: „Immer, Liebes! Gehet die Erd – und der Himmel bleibt.“
Wenn Flasch diesen Satz zu seinem eigenen machen kann, dann hat er sich nicht völlig aus seinem Gottesverhältnis verabschiedet. Der Himmel kann ihm also bleiben. Auch über all dem, was er auf der Verlust-Seite seiner Lebens-Bilanz auflistet. Unser Leben sei voll von religiösen Themen und Darstellungen, sagt er. Die Jagd nach solchen Bildern nennt er geradezu vergnüglich.
Dieses Vergnügen habe ich mit Flasch durchaus gemeinsam. Und wenn er schon zögert, seinen Glauben ganz wegzuwerfen. möchte ich meinen erst recht behalten. Und auch sie dazu verlocken.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17558
weiterlesen...