SWR3 Gedanken

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Vor über zweihundert Jahren gab es in manchen Kirchen einen putzigen Brauch. Da wurde am Himmelfahrtstag mittels einer Seilwinde eine riesige Christusfigur aus Holz langsam hochgezogen. Schwankend und schaukelnd bewegte sie sich durch das Kirchenschiff nach oben, bis sie langsam durch ein Loch in der Decke verschwand. Himmelfahrt sozusagen zum Anfassen. Damit die Menschen sich etwas darunter vorstellen können.
Heute findet man diesen Brauch wohl nirgends mehr. Aber noch immer können sich die Menschen unter „Himmelfahrt“ nur schwer etwas vorstellen. Ist ja auch nicht einfach. Die Bibel erzählt, dass Jesus aufgehoben wurde, eine Wolke ihn aufnahm, so dass ihn keiner mehr sehen konnte. Und dann war er weg. Aha. Und wie ging das zu? Meine Konfirmanden haben da immer Superideen und spekulieren über Expresslifte, Raketenantrieb oder Außerirdische. Letztendlich lässt sich aber keine vernünftige Lösung finden. Und genau darin liegt das Problem des Himmelfahrtstages. Mit Vernunft komme ich ihm nicht bei.
Mit meinem aufgeklärten Verstand stehe ich sozusagen neben den Jüngern auf dem Berg und starre an den Himmel. Aber der gibt mir keine Antworten, sondern stellt ganz andere Fragen: Warum starrst du eigentlich an den Himmel? Was willst du dort finden? Jesus? Der ist bei Gott. Und wo ist Gott? Ganz sicher nicht auf einer Wolke. Gott ist nicht da, wo der Himmel ist. Sondern der Himmel ist da, wo Gott ist. Unter Umständen direkt neben dir. Oder auf der anderen Straßenseite. Oder auf dem Sitz vor dir im Bus.
Wenn ich Himmelfahrt verstehen will, nutzt mir keine schwankende Holzfigur, die durch die Decke verschwindet. Sie lenkt den Blick nur in die falsche Richtung. Und mein Verstand wird sich müde arbeiten an Antworten, die er nicht bekommt. Aber mein Herz kann Antwort finden. Wenn es begreift, dass es den Himmel nicht am Himmel suchen muss, weil er längst mitten unter uns ist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17547
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