SWR2 Wort zum Tag
SWR2 Wort zum Tag
„Ich sehe dich in tausend Bildern, / Maria, lieblich ausgedrückt, / doch keins von allen kann dich schildern, / wie meine Seele dich erblickt.
Ich weiß nur, dass der Welt Getümmel, / seitdem mir wie ein Traum vergeht, / und ein unnennbar süßer Himmel / mir ewig im Gemüte steht.“
Eine Liebeserklärung ohne Zweifel. Da besingt einer seine geliebte Maria, überschwänglich und hingeschmolzen. Novalis, der geniale Dichter aus der Romantik, hatte in jungen Jahren seine einzige große Liebe verloren: heimlich hatte er sich mit der gerade 13jährigen Sophie von Kühn verlobt, aber schon zwei Jahre später war sie der Tuberkulose erlegen. Nie kam Novalis über diesen Verlust hinweg, alles verklärte er im Licht dieser noch unerfüllten Liebe.( „Ich sehe dich in tausend Bildern, Maria, lieblich ausgedrückt.“ Die allzu früh gestorbene Liebeslust steht biographisch im Hintergrund der poetischen Liebeserklärung an Maria.)
Generationen von Christenmenschen haben genauso hingebungsvoll zu Maria hin gebetet und gesungen, die Marienverehrung im Mai stand ganz im Dienst dieser Sehnsucht nach gelingender Liebe. Viele weihten sich dem Herzen Mariens, Frauen fanden ihr eigenes Schicksal in der geliebten Gottesmutter wieder, in der verklärten „Magd des Herrn“. Und männliches Begehren, gerade von zölibatär lebenden Kirchenmännern, verwandelte sich in hinschmelzende Marienliebe; das irdische Glück realisierter Geschlechtlichkeit wurde – nicht ohne männliche Angst vor dem Weiblichen - sozusagen himmlisch umcodiert und auf die geliebte Frau im Himmel bezogen.
Das alles ist kostbar und kann tiefen Lebenssinn haben, auch heute. Aber wir aufgeklärten Kinder nach Freud und Coca Cola achten doch mehr auf den Unterschied zwischen irdischer Liebe und himmlischer. Wir wollen das Begehren heiligen schon auf Erden und Sexualität als Gottesgeschenk begreifen, ganz gemäß den biblischen Überlieferungen. Auch dann kann das verklärte Liebesobjekt namens Maria im Glauben ganz wichtig sein, Inbild realisierter Gottes- und Menschenliebe, gerade im Wissen um die Schönheit und Sterblichkeit erotischen Begehrens. Aber nicht mehr ist latent männliche Frauenangst im Spiel, nicht die Verschiebung erotischen Verlangens ins göttlich Imaginäre, nein, hier und jetzt gilt es konkret zu lieben, z.B. als Mann und Frau. Maria, die unbekannte Frau aus dem Volke, die Mystikerin der Gottesliebe und Mutter der Glaubenden, wird da nicht länger zur Ersatzfigur für das Wagnis konkreter Liebe. Die gottdurchlässige Frau aus Nazaret wird zur Leitfigur für gelebte Liebe schon hier und jetzt. Was an ihr zur österlichen Vollendung führt, gilt für alle, die glauben – und das ist der Grund, sie dankbar zu bitten und zu verehren.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=17493