SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Heute ist Europatag. Braucht es einen solchen Tag? Ich denke schon, es ist wichtiger denn je, über Europa nachzudenken. Denn Europa ist mehr als offene Grenzen und eine gemeinsame Währung. 

Europa ist ein Ideal, das Ideal einer Gemeinschaft religiöser, ethischer und kultureller Werte. Ein griechischer Freund hat mir einen interessanten Hinweis gegeben: Möglicherweise gibt es eine griechische Wurzel des Wortes Europa: Es ist zusammengesetzt aus “euri” und “opi”. “euri” heisst “weit” und “opi” das “Gesicht”. Europa, ein “weites Gesicht”. Nicht eng, nicht engstirnig, sondern weit und offen. Ein schönes Bild.

Drei Charakterzüge prägen dieses Gesicht. Ich möchte sie an drei Städten der Antike festmachen: Athen steht für griechisch-abendländische Philosophie und für die demokratische Idee. Stichwort: Wahlfreiheit.  Rom steht für die staatliche Idee und das bürgerliche Recht. Grundlage für unsere Rechtsprechung. Jerusalem ist zwar keine europäische Stadt, aber hat Europa mit seinen jüdisch-christlichen Werten geprägt: Werte wie Menschenwürde, Gerechtigkeit und Freiheit.

Auch wenn der Weg zu diesen grossen Zielen ein mühsamer, oft schmerzlicher war – das “Gesicht Europa” ist auf dem Fundament des Christlichen, des Humanen und des Sozialen aufgebaut.

Im Blick auf die bevorstehende Europawahl am 25. Mai möchte ich drei Härtetests nennen, die Europa meines Erachtens zu bestehen hat:

Einen ersten Härtetest gilt es zu bestehen, wenn einzelne Mitglieder in der Krise stecken. Dann zeigt sich, ob Europa wirklich eine Gemeinschaft ist. Ob mehrere Starke zusammen stehen und einigen Schwächeren helfen. – Ich wünsche Europa den Willen und die Kraft zur Solidarität.

Zweiter Härtetest. Ich denke an die Flüchtlingstragödien im Mittelmeer. An die viel zu vielen Toten im Meer vor unserer europäischen Haustür. „In unserem Meer – mare nostrum“, wie das Mittelmeer in der alten lateinischen Sprache heißt. – Ich wünsche Europa, dass die Verantwortlichen nicht weiterhin die Schotten dicht machen, sondern eine legale Zuwanderung menschlich regeln.

Jüngster und dritter Härtetest. Das Votum der Schweizer, die freie Zuwanderung von EU-Bürgern zu begrenzen. Das ist kein Schweizer „Ausrutscher“. Fremdenfeindlichkeit entspricht einem europaweiten Trend der vergangenen Monate. – Ich wünsche Europa intelligente und großherzige Antworten gegen die einfachen Antworten von rechts und gegen irreale Angstmacherei.

Damit Europa sein „weites und menschliches Gesicht“ behält!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17468
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