SWR4 Abendgedanken

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„Jeder, der sich die Fähigkeit erhält, Schönes zu erkennen, wird nie alt werden“ – schön hat er das gesagt, der Schriftsteller Franz Kafka (1883-1924). Ich vermute, „nie alt werden“, damit meint Kafka wohl: der bleibt innerlich jung und aufmerksam. 

Dieser Gedanke passt auch zum Monat Mai. Die Natur grünt und blüht und ist voller Leben. Das scheint sich auch auf uns Menschen zu übertragen. Der Mai – auch „Wonnemonat“ genannt – ist noch immer der Monat, in dem viele heiraten. So steht der Mai seit jeher für die Schönheit des Lebens – auch wenn es bei weitem nicht nur Schönes gibt. 

Interessant ist ein Blick in die Heilige Schrift. Das Neue Testament geht sehr spärlich mit dem Wort schön um. Es benennt einige Dinge als schön: Blumen und Steine, Perlen und Gestirne, auch Reden. Ganz anders das Alte Testament. Einige Schriftsteller schwelgen geradezu in der Schönheit. Da ist von vielen schönen Dingen die Rede, von Schönem in der Natur, aber auch von schönen Menschen. 

Da kann man lesen: Ester war von schöner Gestalt und großer Anmut.  David hatte schöne Augen. Saul soll jung und schön gewesen sei, so schön, wie kein anderer in ganz Israel. Mit Schönheitsidolen standen uns die alten Israeliten nicht nach. Schöner geht es kaum. 

Bei schön denken wir oft nur an das Äußere. Aber Schönheit hat auch eine Innenseite: charmant und liebenswürdig, harmonisch und ganz - das alles hat mit Schönheit zu tun. Der Dichter und Menschenkenner Goethe (1749-1832) spricht von der „inneren Schönheit“ des Menschen. Die kann durchaus der äußeren schönen Gestalt entsprechen, muss es aber nicht. Es gibt auch den äußeren Schein, der trügt und allemal vergänglich ist. 

Innere Schönheit hat mit Würde zu tun. Jeder Mensch ist einmalig und unverwechselbar. Die Schönheit des Lebens bewundern, uns die Fähigkeit erhalten, Schönes zu erkennen – das heißt auch: über dem äußeren Reiz die innere Würde nicht vergessen. 

Dann verwundert es auch nicht, wenn die Beter der Psalmen im Alten Testament davon singen, wie herrlich und schön Gott ist. Und dass es schön ist, ihn zu loben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17464
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