SWR2 Wort zum Tag

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Als ich kürzlich mit Freunden aus England zusammen saß und wir uns wieder einmal über Ähnlichkeiten und Unterschiede unserer Gesellschaften unterhielten, dauerte es nicht lange, bis das unvermeidliche Thema zur Sprache kam: Europa und die Euroskeptiker. Ganz unrecht hätten die Skeptiker ja nicht, so argumentierten meine Freunde, schließlich sei das mit der Gemeinschaftswährung fast in die Hose gegangen und die Folgen für alle wären schrecklich gewesen. Und wo es überall brennt in der Europäischen Union, das kam auch auf den Tisch: autokratische und ultra-nationalistische Tendenzen in Ungarn, Misswirtschaft und Korruption in Griechenland, Wirtschaftsflaute in Italien und Spanien. Wie solle da die EU stabil bleiben und nicht die Mitglieder in den Abgrund reisen? Ich selbst hatte auch noch ein paar negative Punkte zu bieten:
Eine Agrarpolitik zum Beispiel, die über Subventionen den Agrarproduzenten aus Entwicklungsländern keine Chance lässt und dann auch noch die subventionierten Überschüsse in die gleichen armen Länder exportiert – was dort die einheimische Produktion kaputt macht. Es mangelt also nicht an Schwierigkeiten und es gibt ganz schön viele Gründe, am Projekt Europa zu zweifeln. Ich erzählte dann aber auch, warum ich trotzdem daran glaube, dass es ein gutes und lohnendes Projekt ist. Zum Beispiel, wie ich schon mehrere Male im Plenarsaal des Europaparlaments in Straßburg stand und beeindruckt davon war, das hier tatsächlich das erste wirklich funktionierende Vielvölker-Parlament der Geschichte tagt. Ein multinationales und vielsprachiges Gremium aus Völkern, die sich häufig noch vor wenigen Jahrzehnten bekriegt und gehasst haben.

Das allein wäre schon genug Argument für den Prozess der europäischen Einigung. Und ich halte diesen Prozess für etwas, was eng zusammenhängt mit dem christlichen Glauben und seinen Werten. Bei weitem nicht nur deshalb, weil das Christentum unseren Kontinent über viele Jahrhunderte so tief geprägt hat, sondern auch, weil es der christlichen Botschaft entspricht, dass solche Menschen eine Gemeinschaft bilden, die sich vorher fremd oder gleichgültig waren. Dass wir über das Wohl unserer eigenen Leute hinaus denken, das größere Wohl in den Blick nehmen, das passt zu dem, was Jesus gelehrt hat. Und wer in Straßburg die Geschichte der Erbfeinde Frankreich und Deutschland betrachtet, der kommt nicht umhin, an das Gebot Jesu zu denken, die Feinde zu lieben, umzukehren, den Hass hinter sich zu lassen.

Ob ich meine englischen Freunde überzeugen konnte? Nun, ich habe sie zumindest zum Nachdenken darüber gebracht, dass Europa vielleicht doch nicht nur ein bürokratisches Monstrum ist, sondern auch ein Ort der Begegnung und Versöhnung.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17461
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