SWR2 Wort zum Tag

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„Politik ohne Prinzipien, Wissenschaft ohne Menschlichkeit, Geschäft ohne Moral, Genuss ohne Gewissen“. Das sind 4 von 7 Sünden, die Mahatma Gandhi in der modernen Gesellschaft am Werk gesehen hat. Mahatma Gandhi, der Hindu, der gewaltfrei den Widerstand gegen das britische Empire in Indien organisiert hat. „Genuss ohne Gewissen.“ Ein grundlegender Makel unserer modernen Gesellschaft? Was hat Gandhi damit gemeint? Wollte er aufrufen zum kargen Leben, zur Askese? War er auch einer von denen, die die Freude an allem was schön ist, zur Sünde erklären. Die Lebensweise des Westens madig machen? Vielleicht weil er selbst das Leben nicht lieben wollte oder konnte?
Wenn man Fotos von ihm sieht, könnte man das meinen. Hager sieht er oft aus. Schlemmen war seine Sache sicher nicht.
Aber genussfeindlich wirkt er auch nicht. Seine Augen leuchten. Ich glaube, Gandhi hatte Freude am Leben.
Ich denke deshalb, sein Wort vom „Genuss ohne Gewissen“ ist geradezu eine Anleitung zu Lebenskunst. Denn er nimmt nicht den Genuss an sich aufs Korn, sondern den ohne Gewissen.
Und was ist Genuss mit Gewissen? Etwa ein schlechtes? Nach dem Motto, wenn es Dir schon besser geht im Leben als den meisten Menschen dieser Welt, dann sollst Du daran beim Genießen denken und zumindest ein schlechtes Gewissen haben. Aber wäre das noch ein Genuss?
Gandhi hat viel von Jesus gelernt, hat er oft gesagt. Auch was den Genuss angeht? Vermutlich: Jesus galt vielen Menschen als Genießer. „Fresser und Weinsäufer“ ist ein Schimpfwort, das ihm Asketen angehängt haben. Die Evangelien sind voll mit Geschichten, in denen Jesus mit anderen Menschen feiert. Und eine der schönsten Geschichten der Bibel erzählt davon, wie eine Frau ihm mit kostbarstem Parfum die Füße salbt. Und Jesus lässt es sich gefallen und weist jegliche Kritik an der Frau zurück. An Jesus kann man Lebenskunst lernen, Freude an der Gemeinschaft mit anderen, Freude an den Gütern des Lebens.
Aber dieser Genuss ist nicht egozentrisch. Jesus genießt die schönen Güter nie nur für sich, sondern er teilt sie und teilt sie aus. Gewissenloser Genuss will dagegen nur für sich, immer mehr. Und ich glaube, so ein egozentrischer Genuss kann am Ende nicht mehr genießen, sich nicht mehr freuen, gewissenloser Genuss kann am Ende nur noch verbrauchen. Genuss mit gutem Gewissen übersieht nicht die anderen, genießt zusammen mit anderen. Ist nicht maßlos, immer nur auf mehr aus. Er ist Genuss, an dem man sich wirklich freuen kann und für den man von Herzen dankbar ist.


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