SWR2 Wort zum Tag

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„Pfarrer Umfrid, Stuttgart, nimmt junge Engländerinnen, Französinnen, Belgierinnen, Holländerinnen oder junge Mädchen aus den skandinavischen Ländern in sein Haus. Herrliche Lage. Gute Verpflegung. Alle Bildungsgelegenheiten in der Stadt. Unentgeltlicher Unterricht in deutscher Sprache.“
Kurz vor 1914 war diese Anzeige im Mitteilungsblatt der Deutschen Friedensgesellschaft erschienen. Damals sind Franzosen, Engländer, Belgier, Deutsche längst Feinde. Nur wenig später: der erste Weltkrieg, mit seinen furchtbaren Schlachten und bösen Feindschaften.
Doch es gab damals auch Menschen wie Pfarrer Umfrid, die für Völkerverständigung und Pazifismus eingetreten sind, die den Rüstungswettlauf der Großmächte und die bösartige Polemik kritisiert haben. Nicht nur mit Worten, sondern mit dem konsequent gelebten Willen zum Frieden. Diese Seite des Denkens und Handelns im Schatten des ersten Weltkrieges zeigt sich in der Einladung an junge Frauen aus anderen europäischen Ländern in das Pfarrhaus in Stuttgart. Den Großen Krieg in Europa haben diese wenigen Friedensmahner jedoch nicht verhindern können.
Wie selbstverständlich ist es dagegen heute für junge Leute, sich in Europa zu bewegen. Es gibt so viele Möglichkeiten: Englisch, Französisch, Spanisch lernt man heute in der Schule. Viele Kinder wachsen zweisprachig auf, weil in ihrer Herkunftsfamilie eine andere Muttersprache als deutsch gesprochen wird.
Die europäische Idee hat die durch die Kriege verhärteten Grenzen in Europa aufgesprengt und neue Verbindungen ermöglicht. Sie geht davon aus, dass die Würde eines jeden Menschen unabhängig von Nationalität, Sprache, Kultur, Religion, Hautfarbe und Geschlecht ist. Die Bibel formuliert diese Überzeugung in religiöser Sprache und sagt: Jeder Mensch ist ein Geschöpf Gottes, hat in sich Würde und Wert, unabhängig vom Urteil anderer Menschen.
Damit das Ja zur Vielfalt und zur Völkerverständigung in Europa und darüber hinaus keine leere Floskel bleibt, muss man etwas dafür tun. In der Anzeige vor 100 Jahren wird das sehr konkret gesagt: „Alle Bildungsgelegenheiten in der Stadt. Unentgeltlicher Unterricht in deutscher Sprache.“
Was wäre heute dran? Die afrikanischen jungen Männer aus dem Asylheim einladen? Endlich doch türkisch lernen? Man muss Gelegenheiten schaffen, den Anderen, das Fremde wahrzunehmen und kennenzulernen, anzuschauen und anzufassen, um es verstehen zu können. Das ist eine große Bereicherung. Und das ist gewiss auch eine Anstrengung. Aber eine schöne.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17413
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