SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Die Botschaft von Ostern lässt sich für mich in einem einzigen Wort Jesu zusammenfassen: „Euer Herz sei ohne Angst.“ (Joh 14,1) Jesus sagt diese Worte beim Abschied von seinen Freunden. Was ein angstfreies Herz bedeutet, das kann man wahrscheinlich erst ermessen, wenn man erlebt hat, wie verletzlich und bedroht das Leben ist.

Daran denke ich, wenn ich die Texte lese, die krebskranke Kinder und Jugendliche in der Tübinger Uni-Klinik geschrieben haben und die jetzt in einem Buch veröffentlicht worden sind.[1] Die jungen Menschen ringen um ihr Leben, um ihre Zukunft, um den Sinn dessen, was sie ertragen müssen. Und sie finden oft zu Gedanken und Bildern, die vielleicht gerade deshalb von großer spiritueller Tiefe sind, weil sie so einfach sind. Sie können mich lehren, was Gottvertrauen heißt.

Samuel zum Beispiel, er hatte schon als dreijähriges Kind einen schweren Unfall, und jetzt mit 15 Jahren ist er an Leukämie erkrankt. Er will nicht darüber nachdenken, warum er krank ist, weil es darauf keine Antwort gibt, wie er sagt. Dann schreibt er aber: „Es war wie ein kleines Wunder, dass ich bei dem Unfall überhaupt überlebt habe und gesund geworden bin. Das war für mich der Beweis, dass es Gott gibt. Ich stelle mir vor, dass ich ein kleiner Stein bin, der am Strand liegt und aufgehoben wird von jemandem, der sich um mich kümmert. Der Mensch kann ja nichts machen, ich kann mich ja nicht selbst heilen. Genauso kann der Stein sich nicht selbst aufheben. Wenn ich im Urlaub bin“, fügt Samuel hinzu, „hebe ich gerne Steine auf und lege sie in ein Glas mit Sand.“

Samuel ist überzeugt, dass er wieder gesund wird. Die 20-jährige Meltem, eine Muslima, hat diese Hoffnung nicht mehr. „Ich spüre den Tod immer in meiner Nähe“, schreibt sie. Und: „Ich bin innerhalb kurzer Zeit sehr reif geworden.“ Dass sie über ihren Tod mit niemandem in der Familie reden kann außer mit ihrer Mutter, belastet sie sehr. „Dabei muss ich das doch realistisch sehen“, sagt sie. „Im Moment ist es so, dass ich unbedingt leben will, und ich werde bis zu meinem letzten Atemzug machen, was ich will.“ Aber neben diesem starken Lebenswillen ist in Meltem auch ein tiefes Vertrauen. Sie sagt: „Ich habe keine Angst, mich erwartet die Liebe von tausend Müttern.“

Meltem lebt nicht mehr. Aber das Bild des Gottes, an den sie geglaubt hat, ist lebendig geblieben: ein Gott, dessen Zärtlichkeit und Liebe jedes Maß und jede Vorstellung ins Maßlose und Unvorstellbare übersteigt.

Samuel und Meltem: Sie haben auf bewegende Weise dieses Wort gedeutet: „Euer Herz sei ohne Angst.“

 [1]Kathrin Feldhaus/Margarethe Mehring-Fuchs (Hrsg.), Ich hab jetzt die gleiche Frisur wie Opa. Wie kranke Kinder und Jugendliche das Leben sehen, mit einer CD: Hörspiel „Glücksmomente“, Ostfildern 2014 - – gefördert von der Veronika-Stiftung der Diözese Rottenburg-Stuttgart.

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17411
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