SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Warum? sagt der Mann immer wieder. Warum. Er streichelt seiner Frau sanft über das Haar. Streicht ihr über die Augen. Eben hat sie ausgeatmet. Das letzte Mal.
Ich spüre, wie der Kloß in meinem Hals immer dicker wird. Ich lege meine Hand auf die Schulter des Mannes. Und so stehen wir da. Schweigen. Weinen. Immer wieder unterbrochen von diesem: Warum?
Die Zeit steht still.
Später, viel später dreht sich der Mann um, wischt sich mit der Hand übers Gesicht, schaut mich an und sagt: Danke, dass Sie das mit mir ausgehalten haben. Dass Sie bei uns geblieben sind. Bei meiner Frau und bei mir.
In diesem Moment habe ich ganz neu verstanden, was „Karfreitag“ bedeutet.
Als Jesus am Kreuz hängt und stirbt, da stellt er genau dieselbe Frage: Warum? Mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Er fragt wie wir. Fühlt wie wir. In dieser dunklen Sterbestunde, da kann nicht einmal er Gott-Vater an seiner Seite erkennen. So stirbt Jesus: wie ein Mensch.
Nicht einmal solche Erfahrungen hat sich Jesus erspart. Jesus weiß, wie schwer unser Leben sein kann. Und wie wichtig es ist, in schweren Stunden nicht allein zu sein. So stark ist seine Liebe zu uns.
Ich höre seine Worte an uns:
Ich lasse euch Menschen nicht alleine. Niemals. Ich fühle mit euch. Und ich bleibe an eurer Seite. Auch im Tod.
Beim Trauergottesdienst damals habe ich versucht, genau davon zu predigen. Von der Solidarität, von dem Mitgefühl, das Jesus hat, für jeden Menschen. Und von dem neuen Leben bei Gott, das er für jeden von uns bereithält.
Nach der Beerdigung kam der Witwer noch einmal zu mir: Als Sie bei uns waren im Krankenhaus, da habe ich gespürt – wir sind nicht alleine. Sagte er.

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