Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Jetzt nimm doch mal die Hände weg!“ sage ich.
Meine Schwiegermutter hält beide Hände vors Gesicht. Sie hat gesehen, dass ich eine Kamera in der Hand habe. „Nein“, schreit sie, „das mache ich nicht. Erst tust du die Kamera weg.“
Meine Schwiegermutter möchte nicht fotografiert werden. Wenn sie ein Bild von sich sieht, ist sie immer ganz entsetzt. „Was? So viele Falten habe ich schon?“ Sie findet sich einfach nicht gut getroffen.
Lassen Sie sich gerne fotografieren?
Ich nicht. Die Kamera ist so gnadenlos. Sie bildet ab, was die Technik sieht. Das kalte Licht des Blitzes bringt an den Tag, wie wir wirklich aussehen. Und die meisten von uns haben eben ihre kleinen Schwächen. Ich auch. Und ich möchte nicht ständig darauf hingewiesen werden.
Der liebe Gott sieht alles, sagt man. Aber er sieht nicht nur das, was vor Augen ist. Er sieht sogar das Herz. Gott erkennt, wer wir sind und wie wir fühlen. Er sieht die kleinen Schwächen und die großen Fehler.
Aber wir können uns auf sein liebendes Auge verlassen. Er stellt uns nicht bloß. Er verurteilt uns nicht.
Gott sieht, dass ich nicht perfekt bin. Deshalb bitte ich darum, dass er meine Bosheit im Zaum hält. Ich vertraue nicht auf meine Kraft. Mit der komme ich nicht weit. Wenn ich abnehmen will, komme ich oft nicht an einem Stück Schokolade vorbei. Ich bringe den Ärger vom Büro mit nach Hause und manchmal muss meine Familie darunter leiden.
Gott weiß das. Er weiß, dass alle seine Kinder auch von innen nicht immer schön sind. Aber trotzdem verstößt er sie nicht. Er nimmt mich trotzdem an. Er befreit mich von meiner Last, damit ich sie nicht immer zu Hause abladen muss.
Daran denke ich jetzt. Das spüre ich nicht immer, aber oft genug erinnert mich Gott daran. Also nehme ich die Kamera runter. Meine Schwiegermutter ist erleichtert.

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