SWR2 Wort zum Tag

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Immer wieder fotografiert er Gesichter und Augen. Der französische Künstler mit dem Namenskürzel JR macht nur Schwarzweiß-Fotos und platziert sie weltweit als riesengroße Plakate an Hauswänden, Treppen und Mauern. Er ist 1983 geboren, hat als Graffittisprayer angefangen. Dann fand er in der Pariser Metro eine Kamera und hat zu fotografieren begonnen. Er vergrößert die Bilder, zieht sie auf Papier und klebt sie mit Kleister an. Warum Gesichter, warum Augen? Es geht ihm um den Blick, darum, die Welt anders zu sehen. „Veränderst Du die Sicht auf die Welt, so veränderst Du auch die Welt“, hat er vor einiger Zeit gesagt. Und es wird etwas anders durch seine Plakate. Häuser und Baracken sehen völlig verändert aus, wenn die riesigen Porträts von Einwohnern außen draufkleben. Zum Bespiel in einer Favela, einem der großen Elendsviertel in Rio. Da tragen die Wände plötzlich Gesichter. Unübersehbar fallen Individuen ins Auge, die hinter diesen Mauern oder Pappwänden leben. JR hat hier im Jahr 2008 vor allem alte Menschen fotografiert, Gesichter, in die das Leben Falten und Runzeln eingegraben hat. Zum Beispiel das von Benedita, einer 68-jährigen Frau. Ihr Bild klebt riesengroß auf einer langen Treppe. Der Ort ist bewusst gewählt, denn am Fuß dieser Treppe haben Soldaten ihren Enkel und 2 weitere junge Männer ohne Grund gegriffen, verschleppt und grausam getötet. Der Fall ging durch die Nachrichten, deshalb ist JR hierher gekommen, und Benedita war die erste Person, mit der er hier gesprochen hat. Als er ihr Vertrauen gewonnen hatte, waren immer mehr Bewohner dieses Viertels bereit, sich fotografieren zu lassen. Ein Film über das Projekt zeigt ihren Stolz, als sie ihre Bilder dann sehen, ein Stolz, der irgendwie übergegangen ist auch auf andere Bewohner. Sie haben sich wahrgenommen gefühlt und damit als Einzelne geachtet und beachtet. Für sie hat sich etwas verändert durch das Kunstprojekt.

Große Museen in aller Welt zeigen inzwischen Bilder und Filme von JRs Aktionen, zur Zeit läuft gerade eine Ausstellung in Baden-Baden. JR drängt dazu, die Augen aufzumachen, um sich gegenseitig wahrzunehmen und in die Augen zu schauen. „Veränderst Du die Sicht auf die Welt, so veränderst Du auch die Welt.“

 

s. auch http://www.museum-frieder-burda.de/Ausstellungen.9.0.html

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17274
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