Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Menschen sind lebendig gewordene Gottesgeschichten sagte meine Großmutter oft.
Noch bevor ich richtig sprechen konnte, zeigte sie mir Bilder aus einer illustrierten Bibel.
Manche sehe ich noch heute vor mir.
Zum Beispiel wie Gott über dem Erdball schwebt. Er streckt seine Hand aus
und sein Zeigefinger berührt fast den Zeigefinger Adams, des ersten Menschen.
Fast. Als Kind habe ich damals den Atem angehalten. Gott und Mensch so nahe zusammen!
Was musste Adam da gefühlt haben? Würde ich auch einmal Gott so nahe sein können?
Wie würde es mir gehen, wenn Gott mich berühren würde so wie Adam?
Das musste toll sein, großartig. Da müsste ich doch so mächtig werden wie Gott selber!
Wunschträume eines kleinen Kindes.
Später, als ich älter war, sprach ich mit Großmutter noch einmal über dieses Bild aus der Kinderbibel. Ich erzählte ihr wie mich das beeindruckt hatte, und dass ich damals auch gern von Gott berührt worden wäre wie Adam. Und mich dabei gern mächtig gefühlt hätte.
Großmutter lächelte. Du hast mehr Macht als du glaubst, sagte sie. Du musst nur hinschauen wofür du gebraucht wirst. Wie, hinschauen?, fragte ich. Du kennst doch den Herbert, sagte Großmutter
Den, der im letzten Sommer Freitags abends immer betrunken vor der Dorfkneipe lag?
Ja, den. Sie hatten ihm sein Arbeitsstelle gekündigt. Das hat er nicht verkraftet, der arme Kerl.
Aber seine Frau hat ihn monatelang abends nach Hause geschleppt. Und jetzt trinkt er nicht mehr. Auch wenn er noch nicht wieder Arbeit hat .Und?, frage ich. Seine Frau hat ihn einfach anders gesehen als die Klatschmäuler im Dorf, sagte Großmutter. Hat ihm die Hand hingehalten. Damit er zum Leben kommt.
Wie Gott damals bei Adam?, fragte ich. Ja, so ähnlich, sagte Großmutter, und jetzt gib mir mal die Hand, damit ich aus dem Sessel hoch komme, ich werde langsam alt.
Ich half ihr aus dem Sessel, und sie half mir mit ihrer Lebensweisheit auf die Sprünge:
Gottes Macht kann ich auch spüren, wenn ich nicht Supermann bin. Ich spüre sie, wenn ich aufmerksam bin. Zum Beispiel dafür, ob jemand meine Hand braucht. Dann bin ich, sind wir alle eine lebendig gewordene Gottesgeschichte.
Mein Gott, kann das Leben aufregend sein!
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