SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

„Ich kann nicht mehr beten.“ Anfang 80 ist die Frau, die mir das ganz unvermittelt erzählt. „Früher habe ich viel gebetet, aber heute fühle ich nichts mehr. Und ich schweife auch dauernd ab“, fügt sie hinzu.

Wir sitzen uns gegenüber in ihrer Wohnung, und ich bin erst einmal sprachlos. Die Frau ist so ernst und so klar, daß mir das Antworten schwerfällt. Ich weiß da kein Rezept, und was ich gelernt habe und wie ich selber bete, mag ich ihr nur sehr vorsichtig anbieten. Dass im Beten das ganze Leben vorkommen darf und soll, auch all die Gedanken an Menschen und Ereignisse, die uns vom ausdrücklichen Beten ablenken. Dass es auch nicht schlimm ist, beim Abendgebet einzuschlafen, ob das ein Vaterunser ist, der Rosenkranz oder ein freies Gebet. Ich erzähle, dass mir ein Satz aus der Komplet, dem kirchlichen Nachtgebet, zu einem kostbaren Tagesabschluß geworden ist. Darin wird Gott gebeten: „Dich träume unser tiefstes Herz, wenn uns die Ruhe nun umfängt.“

Wir sprechen über die Möglichkeit, kurze Sätze zu beten und zu bedenken – so lange oder so kurz es gerade geht. Sätze wie: „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu Dir“, oder „Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir“, oder „Der Herr ist mein Hirt, nichts wird mir fehlen“. Vielleicht auch „Maria breit den Mantel aus.., lassuns darunter sicher stehn, bis alle Stürm vorübergehn“. Die „Qualität“ eines Gebetes hängt sicher nicht davon ab, was wir dabei fühlen. Trotzdem hat es Sinn und tut einfach gut, Worte zu wählen, bei denen das eigene Herz mitschwingen kann.

Im Gespräch über das Beten sind wir dann auch auf eine Stelle im Brief des Apostels Paulus an die Römer gekommen. Paulus schreibt: So nimmt sich auch der (Heilige) Geist unserer Schwachheit an. Denn wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen; der (Heilige) Geist selber tritt jedoch für uns ein mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können. 8:26   Diese Sätze fanden wir beide sehr entlastend. Ich muß es nicht machen. Beten hängt nicht von mir ab.

Und dazu passt der Gedanke, daß beten nicht zuerst reden ist, sondern vor allem hören. Der Versuch, in meinem Leben und durch mein Leben Gott zu hören. Ich wünsche mir für mich und für Sie, daß uns das immer wieder gelingt.

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