Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Wenn ich meine Eltern besuche, dann stehen wir über kurz oder lang in der Küche. Kein Wunder: Hier gibt es Essen und Geschirr. Aber uns bringt noch mehr in der Küche zusammen. Das Leben. In der Küche gab es immer schon Pflaster für alle Wunden und Schrammen. In der Küche haben wir Zeugnisse ausgepackt und über schlechte Noten geschimpft. In der Küche haben wir über die Predigt letzten Sonn-tag gestritten, über die Liebe geredet und über den Tod.
Die Küche, das ist ein Ort zum Satt-Werden. In jeder Hinsicht. Natürlich wenn wir Hunger hatten. Zum Beispiel Samstags. Da haben wir in schöner Regelmäßigkeit vom Kuchen heimlich die Streusel geklaut – wenn meine Eltern sich kurz aufs Ohr gelegt hatten. Leider fiel das immer auf. Denn wir waren fünf Kinder und selbst wenn jeder nur ein paar Streusel nahm, sah der Kuchen trotzdem am Ende ziemlich gerupft aus.
In der Küche wurden wir aber Lebens-satt. Hier haben wir geweint und gelacht, waren wütend und haben uns gemeinsam gefreut. Hier gab’s Standpauken und Umarmungen, Trost und ernste Gespräche. Die Küche war das Leben. Jeden Tag aufs Neue.
In der Küche habe ich handfest erfahren, dass Vertrauen, Zuneigung oder Trost sich nicht auf Worte beschränken. Mancher Apfel, mancher Schluck Wasser, den mir meine Eltern gaben waren nicht nur Heilmittel gegen Hunger oder Durst. Der Apfel, das Wasser und auch der Streuselkuchen stehen für eine tiefe Erfahrung: Du bist angenommen, gehalten, geliebt – egal wie und wer du bist.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=1725
weiterlesen...