SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Giuseppe Verdi, der berühmte italienische Opernkomponist, soll mal auf einer Abendgesellschaft nach seiner Ansicht über Beethovens Neunte Sinfonie gefragt worden sein. Es heißt, dass  er mit blitzenden Augen und leidenschaftlich geantwortet hätte, dass er sich nicht wie so viele von dieser Musik habe einwickeln lassen. Die ersten drei Sätze wären gut - aber der letzte Teil (wenn der Chor mit „Freude schöner Götterfunken“ einsetzt) – das wäre fast nicht auszuhalten, „ein ödes, empfindungsloses Durcheinanderschreien“.
Eine halbe Stunde später jedoch, im Gespräch ist es längst um andere Dinge gegangen, hätte der Maestro plötzlich unterbrochen: „Mir scheint, da vorhin habe ich einen ausgewachsenen Unsinn über Beethoven von mir gegeben! Wenn man sich doch nur das Urteilen abgewöhnen könnte! Dieses Verfälschen der Dinge! Wir wollen immer verstanden werden und selber sind wir unerbittlich verständnislos.“
Besonders dieser letzte Satz hat mich beschäftigt. Wie recht Verdi damit hat. Auch ich wünsche mir, manchmal nicht so schnell über einen Menschen oder eine Sache zu urteilen. Wie schnell kann ich dabei jemandem Unrecht tun.
Es ist viel besser, mich erstmal in den anderen hineinzuversetzen, bevor ich etwas sage. Ist meine Meinung für ihn von Bedeutung? Was hat er oder sie sich wohl dabei gedacht, dies oder jenes zu tun.
Wie oft sage ich eigentlich ungefragt meine Meinung. Wie leicht kann ich jemanden damit verletzen! Zum Beispiel mit so einer Bemerkung wie „was hörst du denn da für schreckliche Musik?“ Selbst wenn sie mir nicht gefällt, wäre es nicht besser, mir die Bemerkung zu  verkneifen? Wir Menschen sind nun mal sehr verschieden und haben manchmal ganz unterschiedliche Wahrnehmungen und Ansichten.
Um gut und friedlich miteinander leben zu können, müssen wir anderen Menschen in vielen Dingen verständnisvoll begegnen. Besonders, wenn es darum geht, wie jemand lebt, woran er glaubt oder welche Kunst ihm gefällt.
Es ist gut, mich immer mal wieder zu fragen: Was erwarte ich denn von anderen, wie sollen sie mir begegnen?
Es gibt eine sogenannte „Goldene Regel“ in der Bibel. Jesus wird dieser Satz im Matthäusevangelium zugeschrieben. „Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen.“ Für mich hat das ganz viel mit Verständnis zu tun. Wenn ich das beherzige, kann ich mich für eine Bemerkung entschuldigen, die wenig verständnisvoll war. Und auch für eine vorschnelle, ungerechte Beurteilung.

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