SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Karl der Große starb vor 1200 Jahren. Ein faszinierender Herrscher, der durchaus aktuelle Anregungen bieten kann.
Karl der Große muss ein beeindruckender Mann gewesen sein. Allein schon optisch. Bei fast 1,90 m Größe dürften ihn seine Zeitgenossen für einen Riesen gehalten haben. Prof. Dr. Stefan Weinfurter aus Heidelberg bestätigt in einem Vortrag, dass Karl ein Freund der Frauen war und ein äußerst erfolgreicher Kriegsherr, darüber hinaus ein Herrscher, der eine Vision vermitteln konnte, die er an Augustins De Civitate Dei schulte. Karl wollte den Gottesstaat errichten, das riss seine Untertanen mit und motivierte sie zum Kampf. Am meisten fasziniert mich, wie gelehrt er war. Er sprach fließend Latein, beherrschte das Griechische, lernte ständig Fremdsprachen und versammelte an seinem Hof die größten Gelehrten der damaligen Welt. Mit dem Papst stritt er über theologische Fragen. Karl war ein Mann der Sprache, der seinen Untertanen beibringen wollte, sich präzise auszudrücken. Mit seiner Unterstützung eroberte die karolingische Minuskelschrift die damalige westliche Welt. In Schulen sollten schon die 7jährigen Grammatik, Rhetorik und Dialektik lernen, die Begabten später auch Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie, die sieben freien Künste. Diese Bildung wünschte er sich ausdrücklich nicht nur für künftige Geistliche, sondern auch für weltliche Kinder. Karl hatte eine Vision: Er wollte die Schulpflicht für alle Kinder. Leider scheiterte der Plan daran, dass die Eltern die Kinder auf dem Feld als Arbeitskräfte brauchten. Mit einer gewissen Bewunderung hält Prof. Weinfurter fest, dass Karl trotz seiner jährlichen Kriegszüge, den Anforderungen der Regierungsgeschäfte und seiner amourösen Abenteuer noch Zeit und Interesse für wissenschaftliche Arbeit fand. In der Tat vermittelt der Blick auf den Herrscher nicht das Eindruck des finsteren Mittelalters, sondern das Bild eines Mannes, der mit Wissensdurst die Welt entdecken möchte. Es wäre sicher spannend gewesen, sich mit ihm über Wissenschaftstheorie zu unterhalten, darüber, ob die Worte die Dinge formen oder umgekehrt. Anschließend könnte man sich mit ihm bei einem Bad entspannen, er war nämlich auch ein Freund der warmen Quellen.
Wenn heute jemand den Gottesstaat errichten möchte, dann stellen sich mir alle Haare auf. Diese Vision ist offenbar immer noch mitreißend, ich muss sagen: Leider. Jährliche Kriegszüge sind auch nicht das Mittel der Politik, das ich mir wünsche. Wenn ich auf Frankreich schaue finde ich es eher etwas peinlich, wenn Staatschefs durch amouröse Affären glänzen. Doch gebildete Politiker, denen die Bildung aller Kinder am Herzen liegt, die um sich Wissenschaftler sammeln, mit denen sie sich beraten und die über aktuelle wissenschaftliche Herausforderungen nachdenken und diskutieren – die sind, so finde ich, ein Gottesgeschenk und eine Zierde für jedes Land.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17147
weiterlesen...