SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Am Strand entlang gehen und mitten in den vom Meer polierten Steinen nach Bernstein suchen – ein beliebtes Spiel im Urlaub an der See. Die kleinen Schätze im grauen Alltag suchen und sich überraschen lassen, das ist nicht die schlechteste Einstellung, um in den Tag zu gehen. So lese ich in den Texten des letzten Konzils und finde diesen Satz wie einen Edelstein: „Im Evangelium redet der unsichtbare Gott aus überströmender Liebe die Menschen an wie Freunde und verkehrt mit ihnen, um sie in seine Gemeinschaft einzuladen und aufzunehmen.“ Wohlgemerkt: Da ist von Menschen die Rede, nicht von Katholiken und Protestanten, das natürlich auch, aber  alle Menschen sind im Blick. In der Mitte des christlichen Glaubens steht die verrückte Überzeugung, dass der unsichtbare Gott mit jedem und jeder von uns befreundet sein will und Resonanz sucht, Austausch und Gemeinschaft. Dieser Gott will nicht allein sein, er sucht Mitliebende. Einen hat er jedenfalls mit Sicherheit schon gefunden, Jesus von Nazaret. Da kam es zu dieser einmaligen Gottesfreundschaft, dieser Gemeinschaft zwischen dem unsichtbaren Gott und dem konkreten Menschen. In diesem Jesus, unserem Christus, habe Gott sich mit jedem Menschen gleichsam vereinigt – so der zweite Schatzfund im Textgewebe des Konzils. Das wird nicht für die Zukunft angesagt als mehr oder weniger vage Hoffnung, das wird im Perfekt gesprochen: Er hat sich vereinigt. Was in Jesus Christus  schon geglückt ist, soll in jedem Menschen glücken und zwischen allen: Das Wunder der heiligen Kommunion, der Gottesfreundschaft mit den Menschen und der Menschenfreundschaft mit Gott. Was Freundschaft ist, weiß jeder und jede – mindestens als Sehnsucht und hoffentlich auch realisiert. Die christliche Vision von Gott und Welt, wie sie das Konzil in Erinnerung ruft, ist aktueller denn je: Warum denn so viel Einsamkeit und Trennung? Warum  so viel Unfrieden, Hass und Krieg? Warum immer noch so viel Angst, zu kurz zu kommen und nicht gewürdigt zu sein? Es fehlt an wirklicher Freundschaft und Freundlichkeit, an Solidarität und Würdigung von Angesicht zu Angesicht. Zur konziliaren Vision des Christlichen gehört eben auch die Rede von der Menschheitsfamilie, von der einen Menschheit, vom Lastenausgleich zwischen Arm und Reich, von der Hochschätzung des Anderen als anderen – eben von Freundschaft und Freundlichkeit.  Ganz konkret könnte das heißen: Jeden Menschen, dem wir heute begegnen, im Zuhören und in der Begegnung so groß wie möglich zu machen. Christsein heißt, am Strand  des Alltags und selbst beim Stranden dieses Stück Bernstein finden und sich seiner zu freuen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17127
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