SWR2 Wort zum Tag

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„Weit weg ist näher als du denkst“, so lautet die diesjährige Kampagne der Caritas. Wie können wir der Globalisierung ein menschenfreundliches Gesicht geben? Das steht hinter diesem Motto. Eine Überlebensfrage für die heutige Menschheit, zu der Christen Stellung beziehen müssen – nicht skeptisch oder resigniert, aber sehr wohl mit kritischen Maßstäben.

Es ist bemerkenswert, dass sich bereits vor 80 Jahren ein bedeutender katholischer  Denker mit dieser Problematik auseinander gesetzt hat: der französische Jesuit Pierre Teilhard de Chardin. Der Theologe, Philosoph und Naturwissenschaftler war geradezu ein Prophet der Globalisierung. Mit der ihm eigenen Hellsichtigkeit hat er beschrieben, wie sich die Menschen weltweit immer mehr beeinflussen und voneinander abhängig werden. „Noosphäre“ hat Teilhard dieses globale Menschheitsnetz genannt: eine denkende Hülle um die ganze Erde. Wie von einem  System von Blutgefäßen, wie von Nervensträngen wird sie von wirtschaftlichen Beziehungen, von wissenschaftlichem und kulturellem Austausch, von international verfügbarer Technik durchzogen. Elektronische Kommunikation, das world-wide-web, spielt eine zentrale Rolle. Auch dies hat Teilhard vorher gesehen. 

Teilhard de Chardin hat diese Entwicklung begeistert begrüßt. In ihrer Bedeutung entspricht sie für ihn der Herausbildung des Gehirns, das den Homo sapiens auszeichnet – nur handelt es sich heute um ein kollektives Gehirn, um ein „Gehirn von Gehirnen“, wie er sagt.

Teilhard war sich aber auch der Risiken sehr wohl bewusst. Wenn die Globalisierung von Welt und Menschheit ausschließlich durch technischen Fortschritt und wirtschaftliche Interessen gesteuert wird, dann kann sie die Menschen verschlingen. Dann macht sie die Menschen nicht freier, wie er hoffte, sondern schafft ungezählte Verlierer. Teilhard hat in zwei Weltkriegen zudem auch erlebt, wie verheerend sich globale Machtansprüche auswirken können. Er hat die Zukunft nie als Idylle, sondern immer auch als Drama gesehen. 

Ob die Globalisierung wirklich gelingt, das wird nach Teilhards Überzeugung wesentlich davon abhängen, ob sich auch die Kräfte der Solidarität, der Menschlichkeit, der Liebe entfalten und durchsetzen werden. Ein kollektives „Gehirn von Gehirnen“ – das ist für Teilhard nur die eine Seite.  Die andere Seite heißt für ihn: ein „Herz von Herzen“. Das ist die eigentlich entscheidende Dimension. 

Ist Teilhards Gedankenwelt eine Illusion? Vieles spricht gegen sie. Auch ihn selbst bedrängten oft starke Selbstzweifel. Was ihm letztlich Gewissheit gab, war sein unerschütterliches Vertrauen auf Gott. Gottes Liebe war für ihn die tiefste Kraft aller Entwicklungen. Er würde die Welt und die Menschheit nicht scheitern lassen. Teilhard de Chardin ist für viele ein Botschafter der Hoffnung in den Turbulenzen einer globalisierten Welt geworden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17051
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