SWR2 Wort zum Tag

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Vor kurzem bin ich in der Tageszeitung auf die Geschichte von Mustafa El-Hadj gestoßen.[1] Bereits 1996 war er als vierzehnjähriger Junge aus Syrien nach Südbaden gekommen – ganz allein, ohne Eltern. Ein Onkel in Müllheim, in der Nähe von Basel, ist der einzige Angehörige, den er hier hat. Am Anfang konnte Mustafa kein Wort Deutsch. Die Freunde, die er hier gefunden hat, kommen selber aus Syrien, aus dem Libanon, aus der Türkei. Ihre Erinnerungen an Mustafa zeigen einen lebensfrohen jungen Mann, der gerne Sport getrieben hat und ein ausgezeichneter  Fußballer war. Von seinen Zukunftshoffnungen, von seinen Bemühungen, ein stabiles Leben aufzubauen, von seinen Enttäuschungen und Rückschlägen erfahren wir nichts – wir können es nur ahnen. 

Mustafa hat lange in Deutschland gelebt – 14 Jahre lang, obwohl sein Asylantrag abgelehnt worden war; 14 Jahre Ungewissheit, was aus ihm wird. „Mustafa hatte nie die gleichen Chancen wie wir“, sagt ein Freund, der das Glück hatte, hier eine Familie gründen, einem Beruf nachgehen, ein geregeltes Leben führen zu können. „Er hatte nie eine Aufenthaltsgenehmigung, er war immer nur auf Duldung.“ Bis es dann mit der Duldung zu Ende war. 

Im Jahr 2010 wurde Mustafa El-Hadj festgenommen und in seine Heimat Syrien abgeschoben, die für ihn schon lange keine Heimat mehr war. Die Auslieferung bedeutete für ihn eine Reise in den Krieg. Seine Freunde in Deutschland erfuhren, dass er noch am Flughafen in Damaskus zur syrischen Armee eingezogen wurde. Am 19. Dezember 2103 ist er von gegnerischen Kämpfern gefangen genommen und erschossen worden. 

„Weit weg ist näher als du denkst“, so lautet die diesjährige Kampagne der deutschen Caritas. Es ist weit weg von uns, was sich in den zerbombten Städten Syriens abspielt, in den Flüchtlingslagern der Nachbarländer, auf den Booten, die vor Lampedusa stranden. Es ist weit weg, auch wenn uns das Fernsehen diese Bilder fast täglich zeigt. Der Zeitungsbericht über Mustafa El-Hadj gibt einem der unzählten namenlosen fernen Menschen einen Namen und ein Gesicht. Er stellt uns an seinem Beispiel vor Augen, welcher Bedrohung und welchem Leid sie ausgesetzt sind. 

Dieser Bericht zeigt aber auch: Die meisten von uns, auch ich, wissen nur wenig darüber, wie es den Menschen wirklich geht, die es schaffen, hierher zu kommen, und für die völlig ungewiss ist, was aus ihnen wird. „Weit weg ist näher als du denkst“, lautet das Motto der Caritas. Man kann es leider auch umdrehen: „Ganz nahe ist oft viel weiter weg als du denkst.“


[1]Beatrice Ehrlich, Vom Fußballplatz in den Krieg, in: BADISCHE ZEITUNG, Ausg. Südl. Breisgau, 3. Februar 2014, S. 28.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17050
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