SWR2 Wort zum Tag

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„Weit weg ist näher als du denkst.“ So lautet die diesjährige Kampagne der deutschen Caritas.  Sie will unseren Blick auf die weltweiten Zusammenhänge von menschlichem Wohl und Wehe richten. Mir fällt in diesem Zusammenhang das Königreich Bhutan ein – dieses kleine Land am Himalaya, zwischen Indien und China gelegen, mit seiner bezaubernd schönen Landschaft und seiner weithin unberührten Natur. Rund 2.000 buddhistische Klöster und Tempel gibt es dort. Bhutan ist ja wirklich weit weg. Warum komme ich gerade darauf zu sprechen?  

Das Königreich Bhutan ist wohl das einzige Land auf der Welt, in dem der Fortschritt nicht nur am Bruttosozialprodukt gemessen wird, also am jährlichen Geldwert aller Güter und Dienstleistungen. In Bhutan steht die Sorge für das Bruttonationalglück in der Verfassung. Das heißt, bei allen politischen Maßnahmen muss die wirtschaftliche Entwicklung mit einem ganzheitlichen Wohlergehen der Menschen im Einklang sein. Es geht also auch darum, wie gesund die Menschen sind, ob die Kinder zur Schule gehen können, was die Menschen glauben und wie sie in ihren religiösen Traditionen verwurzelt sind. Von besonderer Bedeutung ist dabei, ob sie mit der Natur in Frieden leben. 

Nach allem, was ich über dieses „Land des Glücks“ höre und lese, sind die Bhutaner  arm und strahlen doch Zufriedenheit und Freiheit aus. Sie sind unter einander hilfsbereit und behandeln ihre Tiere schonend und fürsorglich.

 Sicher ist auch dort nicht alles Idylle, und es wird nicht einfach für dieses Land sein, seinen Weg in die Moderne so zu gestalten, dass das Glück der Menschen immer oberster Maßstab bleibt. Und sicher leben wir hier und nicht in Bhutan. Aber die Frage, die dieses Land und seine Menschen an uns hier stellen, lautet doch: Worin  zeigt sich eigentlich Lebensqualität? Die ständige Steigerung des Bruttosozialprodukts, dass die Wirtschaft permanent wächst – das ist wie ein Naturgesetz, das allen politischen Planungen zugrunde zu liegen scheint.  Aber dass das nicht alles sein kann, davon sind immer mehr Menschen überzeugt. Auch unter den politisch Verantwortlichen. Wir können aus diesen Prozessen nicht einfach aussteigen. Das weiß ich schon. Vielen von uns bescheren sie durchaus auch ein angenehmes Leben. Aber macht uns das schon zufriedener? Freier? Oder gar glücklicher? Und welchen Preis zahlen wir dafür? Umgekehrt gefragt: Wenn ich zufrieden bin, wenn ich das Gefühl habe, bei mir selber zu sein, manchmal vielleicht sogar glücklich – woran liegt das dann? 

Was heißt Fortschritt? Um diese Frage geht es letztlich – in den globalen Entwicklungen und ebenso im eigenen Leben. Der Weg, den Bhutan zu gehen versucht, stellt uns vor die Frage, welchen Maßstäben wir folgen. Wenn wir uns auf diese Frage einlassen, dass ist das kleine Land am Himalaya vielleicht doch näher, als wir denken.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17049
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