SWR2 Wort zum Tag

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Wie viele Masken trage ich in meinem Reisegepäck? Ein Theaterplakat hat mich auf diese Frage gestoßen: Es zeigt eine Gestalt, die eine Straße entlang geht. Sie trägt einen Reisekoffer. Der Kofferdeckel ist aufgesprungen, zur Seite weggeklappt. Aus dem Spalt quillt eine Vielzahl verschiedenartiger Masken.
Eine Maske zu tragen, ist etwas Alltägliches. In unterschiedlichen Begegnungen setze ich mir Masken auf. Sie schützen mich. Sie verbergen etwas, das ich anderen nicht offen zeigen mag und kann: manche Enttäuschung, manchen Ärger, manche Trauer. Ich trage eine heitere oder lustige Maske, damit nicht gleich alle sehen, wenn ich mit einem Problem ringe. Ich spiele den Abgebrühten, um mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mir etwas unter die Haut geht. Masken sind auch hilfreich in Situationen, die ich noch nicht so recht abschätzen kann. Sie verschaffen mir Ruhe und Distanz, wenn mir etwas zu nahe auf den Leib rückt.
So gesehen haben Masken nichts mit Verlogenheit zu tun. Sie gehören zu meinem Ausdrucksrepertoire. Vielleicht ist es kein Zufall, dass es sich bei dem eben beschriebenen Bildmotiv um ein Theaterplakat handelt. Zumindest eine kulturelle Wurzel des menschlichen Spiels mit Masken liegt in der griechischen Bühnenkunst. Die Schauspieler trugen Masken, durch die hindurch ihre Stimme ertönte, auf lateinisch: „per-sonare“. Von dieser Technik leitet sich das Wort „Person“ her. Die Maske ist das, wodurch die Stimme hindurchtönt. Sie stellt die Person dar.
Doch welche Persönlichkeit steht hinter der „Person“? Welches Gesicht hinter den Masken? Wenn ich ehrlich bin, weiß ich, dass diese Frage unbeantwortbar bleibt. Sie hat etwas Künstliches: Im wirklichen Leben sind Gesicht und Masken nicht zu trennen. Und dennoch: Im Verwirrspiel meiner Alltags-Maskeraden muss ich selbst nicht untergehen. Der Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer schreibt in seinen Aufzeichnungen im Gefängnis in Tegel: „Bin ich wirklich das, was andere von mir sagen? Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß? Wer bin ich? Der oder jener? Heute dieser und morgen ein anderer oder beides zugleich? Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott. Wer ich auch bin, du kennst mich, dein bin ich, o Gott.“ Für mich heißt das: Gott kennt mich in all meinen Facetten, und er nimmt mich an – mit meiner freiwilligen und unfreiwilligen Maskerade.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17034
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