SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Nach der Scheidung seiner Eltern ist er in die Pubertät gekommen. Die hat ihn kräftig gebeutelt. Seine Mutter konnte sich nicht voll um ihn kümmern. In der Schule ist es immer mehr abwärts gegangen mit den Noten und er musste schließlich auf die Realschule wechseln. Dort hat er gute Noten geschrieben, wieder an sich selbst geglaubt und war für kurze Zeit glücklich. Bis die Ärzte bei ihm einen Hirntumor festgestellt haben. Das hat sein ganzes Leben wieder durcheinander gebracht.

Bei so einem Schicksal frage ich mich, warum Gott das zulässt. Und umgekehrt, wenn bei mir alles glatt läuft und ich glücklich bin, ertappe ich mich manchmal bei dem Gedanken, dass jetzt alles anders kommen könnte und das Schicksal bei mir auch zuschlagen wird. Um mich zu prüfen oder einfach, weil nichts einfach nur gut sein kann. Und dann noch so ungleich verteilt.

Beides ist für mich aber „magisches Denken“. Klar gibt es das in fast allen Religionen, dass Menschen ihr Schicksal durch Opfer, Gebete und magische Rituale unter Kontrolle halten wollen. Das ist das von Menschen Gemachte an den Religionen. Auch im Christentum gibt es das. Zeichen dafür können ein Talisman sein, ein Schutzengel-Amulett oder ein Rosenkranz an der Windschutzscheibe.

Ich bin da zwiegespalten. Ich weiß, dass diese Sehnsucht nach Kontrolle und Sicherheit im Leben menschlich ist. Aber wenn ich mit Gott rede, merke ich, dass ich ihn damit verkenne. Das wir mir dann klar, wenn ich auf das Kreuzchen schaue, das an meinem Rosenkranz an der Windschutzscheibe hängt. Da sehe ich ja keinen Gott, der alles unter Kontrolle hat. Im Gegenteil. Ich sehe einen, der ein Opfer von Gewalt geworden ist und der keine Kontrolle mehr über sein Schicksal hat. Aber wenn ich  Jesus am Kreuz sehe, dann sehe ich auch einen, der sich bei all dem Leid nicht die Hoffnung nehmen lässt, das Gott am Ende alles gut machen wird. Das fühlt sich zwar nicht sicherer an. Aber es kommt mir ehrlicher vor und wirkt auf mich hoffnungsvoller als das magische Denken. Da setze ich lieber auf einen Gott, der das Leid vielleicht nicht abschafft, der mich aber nie im Stich lässt, weil er selbst weiß, wie es sich anfühlt. Und dann ist er mir nahe, als ob er mich halten könnte.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17020
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