SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Es war eine kleine Aha-erfahrung für mich:
Den ganzen Nachmittag hatten meine Kinder keine Lust zu nichts. Alle Spielsachen waren langweilig und meine wohlgemeinten Vorschläge verpufften ins Leere. Schließlich gab ich resigniert auf und begann den Sperrmüll herauszuräumen, da er am nächsten Tag abgeholt werden sollte. Und auf einmal verwandelte sich die alte Matraze für meine Kinder in ein Schiff und das alte Telefon in ein Funkgerät, im Nu kamen noch andere Kinder dazu, und ein spannendes Spiel begann...
Gerade das Unfertige hatte die Fantasie der Kinder angeregt. Auch die Möglichkeit, selbst etwas zu schaffen. Die nörgelnde Langeweile wich schöpferischer Lust.
Für mich hat das etwas mit Spiritualität zu tun. Unter Spiritualität verstehe ich die Art und Weise, wie ich in der Welt bin. Wie ich mich selbst sehe. Was meine inneren Bewertungsmaßstäbe sind. Lasse ich nur das gelten, was den Erwartungen entspricht, was möglichst perfekt und optimal ist? Ich spüre, wie der Zeitgeist mich mächtig in diese Richtung drängt. Gerade auch in der Erziehung der Kinder. Sie sollen möglichst früh gefördert werden, um sich optimal zu entfalten. Bildungspläne sollten schon in der Kinderkrippe von qualifizierten Profis umgesetzt werden! Und auch als Mutter sollte man die berufliche Karriere natürlich stets im Blick haben. Überhaupt: Wie sieht der optimale Lebensentwurf aus? Die gelungene Partnerschaft? Wann ist der richtige Zeitpunkt für die Familienplanung gekommen? Das Glück – es scheint immer mehr eine Frage des perfekten Designs zu sein.
Meine Kinder lehren mich immer wieder eine andere Sichtweise. Glück lässt sich nicht machen, aber manchmal finden, wenn wir offen dafür sind. Glück erfahre ich vor allem da, wo ich mich einlassen kann: auf eine Situation, so wie sie ist. Auf Menschen, so wie sie sind. Und weder die Menschen noch die Situationen sind in der Regel perfekt und müssen es auch gar nicht sein.
„Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, könnt ihr nicht in das Himmelreich hineinkommen (Matthäus 18,3)“, sagt Jesus. Kinder können sich noch einlassen – auch wenn diese Fähigkeit durch unsere moderne Lebensart zunehmend verlernt wird. Sie können dem Leben hingeben, das sich ihnen in jedem Moment neu schenkt und sie zu schöpferischer Fantasie beflügelt.


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