SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

„Von grenzenloser Freiheit kann da ja wohl keine Rede sein.“ Das hat ein Schüler von mir gesagt, als wir auf Studienfahrt waren und gerade das Flugzeug verlassen haben. Es war sein erster Flug gewesen und er hat da auf das Lied von Reinhard Mey angespielt, in dem es heißt „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“  - mein Schüler hat ergänzt: die Beinfreiheit. Ihm war es wohl zu eng im Flieger. Ich habe das gar nicht beachtet. Weil ich im Flugzeug immer den Blick auf die Welt von oben und auf die Wolken genieße. Er hat dann noch dazu gesagt: „Es müsste doch eher heißen ‚Unter den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein‘ “.

Klar, wenn ich in den Urlaub fliege, fühlt sich das nach Freiheit an, nicht nur, weil ich in die Luft abhebe, sondern auch, weil ich aus meinem Alltag ausbreche! Dieser Kommentar von meinem Schüler bringt mich da wieder auf den Boden der Tatsachen zurück: Als ob es in meinem Alltag keine Freiheit gäbe.

Wie die meisten Leute bin ich durch den Beruf in ein zeitliches Korsett eingespannt, das nicht viele Freiräume lässt. Dazu kommen ja noch andere Verpflichtungen in meiner Freizeit. Gut, ich muss arbeiten, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen, aber mit welchem Anspruch, das ist doch weitgehend meine Entscheidung. Ich will meinen Beruf ja auch richtig machen. Aber das fühlt sich für mich oft nicht mehr frei an, weil ich vergessen habe, dass ich mich für diesen Beruf entschieden habe. Und weil ich mich oft ertappe, wie ich mit dem Erreichten nicht zufrieden bin, sondern meine Ansprüche höher setze, sobald ich etwas erreicht habe. Dazu verpflichtet mich doch niemand.

Frei zu leben ist also gar nicht so einfach. Vor allem, weil ich es mir bewusst machen muss, wenn ich Freiheit spüren will. Wie bei den schönen und erfüllten Momenten im Leben, bei einem schönen Fest oder einem Gespräch. Ich registriere oft erst hinterher, wie gut es war. Wenn überhaupt.

Aber ich denke, dass ich doch etwas ändern kann, wenn ich mich unfrei fühle. Zumindest im Denken. Wenn ich zum Beispiel Termine einhalten will und es nicht rechtzeitig schaffe. Selbstvorwürfe engen mich dann oft nur noch mehr ein, ändern aber nichts mehr an der Tatsache der Verspätung. Dann hilft es mir einfach, wenn ich mich frei mache und mir sage: Die Welt geht auch nicht unter, wenn ich jetzt zu spät komme. Ich finde es wichtig und gesund, wenn ich mir diese kleinen Freiheiten im Denken schaffe.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17017
weiterlesen...