SWR3 Gedanken

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In der niederländischen Stadt ‘s-Hertogenbosch sind die Menschen sehr stolz auf ihre Kathedrale St. Johannes. Einerseits, weil sie ein Höhepunkt gotischer Architektur ist, und andererseits, weil dort seit 2011 ein ganz besonderer Engel auf dem Dach steht. Der trägt nämlich Jeans, hat ein Handy am Ohr und eine Laptop-Tasche umgehängt. Ein ausgesprochen zeitgemäßer Engel also.
Dem ein örtliches Ehepaar den letzten Schliff gegeben hat. Für das Engelhandy richteten die eine echte Telefonnummer ein, unter der man den Himmelsboten aus Stein erreichen kann. Seitdem wählen täglich ungefähr dreißig Leute diese Nummer. Manche wollen nur die Lottozahlen wissen oder ihre Prüfungsfragen.
Aber die meisten haben ernste Anliegen. Ein kleines Mädchen erzählt traurig vom ersten Weihnachtsfest ohne die verstorbene Oma. Andere erzählen von ihrem Liebeskummer, vom Ärger in der Schule und vom Stress im Büro. Sie erzählen das alles einem Engel aus Stein, dessen Stimme durchaus menschlich ist und zum weiblichen Teil des findigen Ehepaars gehört. Ob das traurige kleine Mädchen das weiß?
Originell ist die Idee mit dem Handyengel und der Standleitung zum Himmel ja schon. Und trotzdem habe ich Bauchschmerzen. Wenn Menschen echte Probleme und Fragen haben, sollten sie sich besser an echte Menschen mit einer echten Ausbildung wenden. Und nicht an ein Ehepaar mit gutem Willen.
Wenn ich ernsthaft mit dem Himmel reden will, dann brauche ich keinen Engel aus Stein. Im Gebet existiert längst eine Standleitung zwischen mir und Gott. Und wenn ich ernsthaft mit Menschen reden will, dann suche ich mir Menschen. Finden kann ich die zum Beispiel bei der Telefonseelsorge. Die ist Tag und Nacht besetzt. Und sie ist bundesweit unter der Telefonnummer Nullachthundert dreimal die Eins, Null, und nochmal dreimal die Eins zu erreichen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17011
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