SWR2 Wort zum Tag

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Wie Jesus war, als Kind oder als pubertierender Jugendlicher, davon erfahren wir aus den Evangelien so gut wie nichts. Geburt, Beschneidung und Namensgebung, dann noch die so genannte Darstellung im Tempel und schließlich diese denkwürdige Geschichte, in der der zwölfjährige Jesus mit den Gelehrten am Jerusalemer Tempel diskutiert.
Dann folgt in den Evangelien eine lange Pause und wir erfahren erst wieder vom jungen Mann, etwa 30-jährig. Diese Lücke von fast 20 Lebensjahren spiegelt sich auch im Kirchenjahr wider: Gefühlt haben wir doch gerade erst Weihnachten gefeiert, da beginnt auch schon die vierzigtägige Fastenzeit zur Vorbereitung auf Ostern. Fehlt da nicht was Entscheidendes? 

Ich war richtig neugierig, als Ende letzten Jahres das jüngste Buch des Literaturnobelpreisträgers John M. Coetzee erschienen ist: „Die Kindheit Jesu“ lautet der verheißungsvolle Titel. Allerdings, außer im Titel taucht das Wort Jesus im ganzen Buch nicht mehr auf – dafür steckt es voller Anspielungen auf die Bibel.

Im Zentrum des Romans steht ein fünfjähriger Junge, David, ein Flüchtlingskind, das weder Vater noch Mutter kennt. Und Simon. Auch er Flüchtling, ein Mann in den besten Jahren, ein Denker und Grübler. Simon ist für David zu einem Ersatz-Vater geworden. Und hartnäckig verfolgt er die selbst gestellte Aufgabe: eine Mutter für David finden. 

David und Simon sind in einer fremden Welt gelandet, in einer Stadt namens Novilla. Die Menschen dort haben sich ganz in ihrer bescheidenen Gegenwart eingerichtet, offenbar völlig bedürfnis- und leidenschaftslos. Niemand hat eine Vergangenheit und die weitere Zukunft scheint auch keinen zu beschäftigen. Man begegnet David und Simon freundlich, aber letztlich distanziert.

Und David selbst? Vorsichtig könnte man sagen, er ist etwas speziell, ja seltsam: liebenswürdig, aber ein bisschen selbstbezogen, höchst empfindsam, hochbegabt. Seine Umgebung und vor allem Simon löchert er mit überraschenden, wahrhaft philosophischen Fragen. Mit der Welt, so wie sie ist, kann er sich nicht abfinden. Zauberer will er werden, Entfesselungskünstler, Menschen retten. 

Ich weiß natürlich nicht, was der Autor mit Titel und Text im Letzten wollte. Mich hat in jedem Fall beim Lesen die Frage nicht los gelassen: Wie war der kleine Jesus und war er womöglich so wie David? Für mich gehört diese Frage einfach dazu – versuche ich die ungeheure Botschaft zu verstehen, dass Gott wirklich Mensch geworden ist. Und stelle ich mir auch seine Kindheit und Jugend vor, rückt mir der Mensch Jesus doch ein Stück näher.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=16994
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