SWR2 Wort zum Tag

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„Wie oft soll man vergeben?“, fragt Petrus Jesus im Evangelium. „Siebenmal?“ „Nein, siebenundsiebzigmal“, ist die Antwort. Jesus hätte auch gleich sagen können: immer. 

Das wird den Petrus und die Seinen bestimmt nicht zu Beifallsstürmen bewogen haben. Eher zu nachdenklichem und unverständlichem Stirnrunzeln.  

Erinnerungen an erlittenes Unrecht oder an ganz besonders unangenehme Zeitgenossen ermutigen oft zu allem anderen als zu noblen Verzeihungsgesten. Damals nicht anders als heute. Die Hand zur Versöhnung wird meistens erst ausgestreckt, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Man hat ja schließlich seine Erfahrungen gemacht. Außerdem hat man ja auch seinen Stolz und-wie heißt es manchmal:  „eine gewisse Härte ist halt manchmal doch wirklich notwendig“.  

Solche Sprüche und Denkweisen sind nur allzu menschlich, aber eben nicht göttlich. Gott ist anders. Gott sei Dank.  

Jesus bringt es mit seinem Gleichnis auf den Punkt. Gottes Barmherzigkeit ist nicht zu überbieten. Sie widerspricht allem menschlichen Rechtsempfinden und bringt alle Ordnungsmuster für eigene Urteile völlig durcheinander. Sie ist allerdings alles andere als blindäugig. Sie ist nicht ziellos. Gott ist nicht gönnerhaft gelangweilt, so als wären die Sündenfälle seiner Geschöpfe nichts anderes als Peanuts für den über allem thronenden Herrn der Welten. 
Gott interessiert sich. Seine Barmherzigkeit hat die Entwicklung des Menschen, sein Reifen und Heranwachsen im Blick. 
"Schafft es die Liebe Gottes, auch nur einen einzigen Menschen zu verfluchen?", fragt der Schriftsteller Thomas Weber in einem seiner Stücke.
Diese Frage enthält das Bangen ebenso wie das Hoffen. Beides.
Und das ist angemessen gegenüber einem im letzten doch rätselhaften und geheimnisvollen Gott, der sich nicht auf eine möglichst angenehme Verstehensformel bringen lässt.  

Aber der uns Hinweise gegeben hat. Sein Sohn, Jesus von Nazareth, hat nicht nur von Barmherzigkeit geredet, er hat sie vorgelebt. Sein Umgang mit den Schattengestalten seiner Umwelt, mit den Huren und Zöllnern, mit manch anderen an den Hecken und Zäunen bleibt auch heute noch provozierend.  

Weil diese Art der Liebe verwundbar ist. Damals wie heute. Die Angst vor Enttäuschung führt geradewegs in den Kerker der Rechthaberei. In die Kälte.

Wer dahin will, den lässt Gott ziehen. Nah bleibt er denen, die wenigstens versuchen, seine Barmherzigkeit zu lernen. Und sie – so wie sie es können –mit ihrem Leben zu buchstabieren.

 

 

 

 

 

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