SWR3 Gedanken

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95 Jahre alt ist unsere Nachbarin geworden. Vor kurzem ist sie gestorben. Lange, fast bis zum Ende, war sie noch fit, ging selber einkaufen, hielt Haus und Bürgersteig in Ordnung. Am Ende ging dann alles sehr schnell. Da war es wohl wie bei einer Sanduhr, der man beim Ablaufen zuschaut. Irgendwann rutscht eben das letzte Körnchen durch das Stundenglas und ein langes Leben geht zu Ende.

Die Bibel hat ein wunderbares Wort geprägt, das mir bei solchen Geschichten immer wieder einfällt. Lebenssatt sei dieser Mensch gestorben, satt an Jahren, heißt es da (Gen 25,8). In einer Gesellschaft wie jener, von der uns die Bibel erzählt, war es ja nicht unbedingt selbstverständlich, jeden Tag satt zu sein. Satt sein zu dürfen ist ein Geschenk, etwas Großartiges. Wenn einer dann lebenssatt gehen darf, dann heißt das doch wohl, dass das Leben diesen Menschen satt gemacht hat. Dass er von allem etwas mitbekommen hat. Alles, was ein langes Leben so auf Lager hat. Höhen und Tiefen, Freude und Leid, und möglichst alles in erträglichen Maßen. Ich weiß, dass es meiner Nachbarin in ihrem langen Leben tatsächlich so ergangen ist. Sie hat zwei Weltkriege und schmerzhafte Verluste erleiden müssen. Aber auch eine lange Ehe erleben dürfen und ein gesundes, erfülltes Alter. Am Ende hat alles wohl irgendwie zusammen gepasst. Das Leben hat sie satt gemacht. Und 95 muss man dazu vielleicht gar nicht unbedingt werden. Lebenssatt. Wenn ich mir etwas wünschen darf, dann, dass ich das eines Tages auch mal von meinem Leben sagen kann.

 

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