SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

„Seelsorge“. Bei diesem Wort denkt man erst einmal an ein Gespräch, bei dem Menschen ihr Herz ausschütten können. Alles, was gesprochen wird, bleibt streng vertraulich.
Geht das auch per Brief? Schriftlich?
Ich bin auf ein erstaunliches Beispiel gestoßen.
Lilli Zapf, eine Frau, die 1953 nach Tübingen kam und hier als Sekretärin in Kliniken gearbeitet hat, begann eine Korrespondenz mit überlebenden ehemaligen Jüdinnen und Juden Tübingens – in Israel, in den USA, in Südafrika.
Für die Überlebenden war Lilli Zapf eine vertrauenswürdige Korrespondentin.
Sie selber unterhielt im Berlin der 30er Jahre ein Schreibbüro, erledigte Arbeiten für jüdische Studenten und wurde deswegen bedrängt. Sie floh nach Holland, tauchte dort unter und engagierte sich im Widerstand gegen die deutsche Besatzung.
Und doch: Wie kommen die Briefe einer ortsfremden, nach dem Krieg Zugezogenen bei den Vertriebenen und Gequälten an?
Wie kann Lilli Zapf Menschen anschreiben, die sie nicht gekannt hat, deren Leben sie in Tübingen keinen einzigen Tag miterlebt hat?
Wie kann da ein vertraulicher Austausch entstehen?
Unzählige Briefe hat sie in rund 15 Jahren verfasst. Ihre Briefe sind bewegende Zeugnisse, wie per Brief zwischen Menschen Brücken entstehen können:
Sie erkundigt sich nach dem Ergehen. Sie nimmt Anteil an Freuden und Leiden ihrer Briefpartner.
Sie hilft durch ihre Recherchen, dass ihre Briefpartner etwas von den Schicksalswegen ihrer Freunde und Bekannten erfahren. Und sie erzählt von eigenen Schwierigkeiten und Erfolgen.
Sie verschweigt nicht, dass es weiter antijüdische Ressentiments gibt –
doch weckt sie immer wieder auch Sympathie für die einstige Heimat.
Sie legt ihren Briefen, Postkarten und Heimatkalender von Tübingen bei, um, wie sie schreibt, „Ihnen eine kleine Freude zu bereiten und vielleicht doch ´Heimatgefühle` aufkommen zu lassen nach all den Bösartigkeiten der Vergangenheit.“ „Ich kann sehr gut verstehen, dass sie zunächst nichts mehr von diesem Land und seinen Leuten wissen wollten.“ Doch: „Tübingen grüßt Sie allerbestens. Ich füge ein Foto ... bei, das sicherlich alte Erinnerungen auftauchen lässt. … Vielleicht besuchen Sie bald einmal das immer noch reizende Neckarstädtchen.“ „Mit mir freuen sich bestimmt noch viele Menschen im Württemberger Ländle.“
Ich ziehe den Hut vor dieser Frau.
Wie hat sie per Brief Vertrauen aufgebaut!
Wie sind durch ihre Briefe – Freundschaften entstanden.
Sie ist für mich eine Briefseelsorgerin par excellence.
Briefe können Menschen verbinden, ermutigen, trösten.
Sie sind vertraulich – zweisam.
Ganz gleich ob sie in einem Umschlag stecken – oder digital  - per Mail.
Briefseelsorger ist ein schöner Beruf. Jede und jeder von uns kann ihn wahrnehmen!

Zitate in: Michael Jaesrich, Lillil Zapf und ihr Buch über die Tübinger Juden, Tübingen, 2014.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=16927
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