SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Wenn einer abfällig von mir redet, z.B. „So einem Pfarrer kann man doch nicht trauen!“ Das macht mir schwer zu schaffen. Besonders dann, wenn ich mich missverstanden fühle. Oder wenn eine Sache so falsch dargestellt wird, dass ich das Gefühl habe: du kommst aus diesen Vorurteilen nicht mehr heraus. Bestimmt haben Sie das auch schon erlebt.
Aber, ehrlich gesagt, manchmal bin ich auch auf der anderen Seite. Dort, wo ich über den anderen urteile. Zum Beispiel über den Arbeitskollegen. An dem gefällt mir etwas nicht. Und während ich vielleicht anderen gegenüber großzügig bin, lege ich bei dem alles auf die Goldwaage. Ich sehe überscharf das, was mich an ihm stört - wie durch ein Vergrößerungs­glas. Und dann bin ich nicht zimperlich, mich auch mit entsprechender Schärfe zu äußern. Und fühle mich sogar im Recht.
Jesus sagt: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet.“ (Matthäus 7, 1-5).
Jesus weiß aus eigenem Erleben, wie schnell jemand hingerichtet ist mit dem, was laut gesagt oder was hinter vorgehaltener Hand über ihn behauptet wird. „Jesus ist ein Aufrührer! Bringt ihn zum Schweigen!“, so haben die Gegner von Jesus die Bevölkerung aufgehetzt. Das war der Anfang vom Ende.
Nachdenklich macht mich auch noch ein anderes biblisches Wort: „Der Mensch sieht, was vor Augen ist“ (1. Samuel 16,7). Und so ist es ja auch. Wir sehen oft nur die Oberfläche, das Äußere, den Kollegen und das, was uns stört. Aber dieser Satz geht noch weiter: „aber Gott sieht das Herz an.“ Gott versteht, in welche Situationen Menschen geraten können. Er sieht sie an und hat Erbarmen mit ihnen.
Ich finde, wenn ich jemanden beurteile, sollte ich nicht vergessen: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!“ Und dann ist es nicht weit zu jenem Wort: „Der Mensch sieht, was vor Augen ist, aber Gott sieht das Herz an!“ Solch einen Blick, der sich zuerst an Gott orientiert, solch einen Blick füreinander wünsche ich uns.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=16923
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