SWR2 Wort zum Tag

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Die guten Vorsätze sind schon vier Wochen alt. Denken Sie noch manchmal daran? Es ist meistens nicht sehr originell, was man sich vornimmt: Gesünder Leben, viel Bewegung, weniger essen, sich mehr Zeit nehmen für dies oder das. Aber Sich Dranhalten ist doch schwieriger, als man dachte. Ist jedenfalls meine Erfahrung.
Warum das so ist, ist mir neulich beim Vortrag einer Verhaltenstherapeutin wieder klar geworden. Sie erklärte, was es so schwierig macht, eingespielte Verhaltensmuster aufzugeben: Essgewohnheiten zum Beispiel sind wie Radfahren oder Schwimmen implizites Wissen. Dieses Wissen hat man sich durch Nachahmen und Üben, durch zwischenmenschliches und kulturelles Lernen angeeignet.
Sie sagte: Wer mit dem Kopf entscheidet, dieses oder jenes müsse sich in diesem Jahr verändern, sollte prüfen, ob es dabei um ein implizit erworbenes Verhalten geht. Das zu ändern ist schwer, denn das kann man nicht nur durch den Willen, sondern vor allem durch das Üben. Es hilft nicht, sich bei diesen Veränderungsbemühungen selbst herunterzumachen, weil es nicht gleich klappt. Sondern indem man freundlich mit sich ist und sich zugesteht, dass man sich eine große Aufgabe vorgenommen hat.
Dieser Gedanke mag nicht so furchtbar neu sein, aber bei diesen Sätzen horchten die Anwesenden auf. Da wurde uns nicht Disziplin und selbstkritische Strenge eingeschärft, sondern: Freundlichkeit mit sich selbst. Die Wirkung dieser Bemerkung war verblüffend: Es schien mir, als würden alle ab dem Moment ein bisschen aufrechter sitzen.
Dieser Eindruck hat mich eine ganze Zeit lang begleitet. Ich fand es schon erstaunlich, wie ein paar verständnisvolle und zugewandte Worte eine kleine Welle an Stärke und Zuversicht auslösen konnten. Es zeigt mir, wie bedürftig wir Menschen nach Zuspruch und Anerkennung sind.
Eigentlich nicht überraschend. Ich erlebe es ja auch: Man ist schnell mit Kritik und Selbstkritik bei der Hand. Und man ist oft bereit, von vorneherein das Schlechtere von Anderen zu denken. Vertrauensvorschuss ist eher selten, finde ich.
Der würde uns Menschen aber gut tun. In der Bibel heißt es dazu: „Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann.“ (Röm. 12,17)
Das ist ein richtig guter Vorsatz für das neue Jahr, finde ich. Dass man Anderen mehr zutraut und ihnen vertraut, dass man Gutes von ihnen denkt und ihnen Gutes entgegenbringt. Ich fürchte, dass ich damit gelegentlich gegen implizit erworbenes Wissen, Misstrauen genannt, angehen muss. Dann weiß ich: Üben hilft. Und ein langer Atem. Den wünsche ich mir.

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