SWR2 Wort zum Tag

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Ein Religionslehrer berichtet, dass er mit seinen Schülerinnen und Schülern besonders gerne mit den Psalmen arbeitet. Das hat mich zunächst überrascht: Die Psalmen, Texte, Gebete, entstanden vor über 2000 Jahren, in einem ganz und gar anderen Kulturkreis, - für Jugendliche geeignet, heute, in der Schule? Der Lehrer erläutert seine Erfahrung so: „Religionsunterricht steht auf tönernen Füssen, wenn er nicht zuerst ganz elementar zeigt, mit was für einer Wirklichkeit wir es hier zu tun haben und wo sie für uns erfahrbar werden kann. Erfahrbar wird sie nicht in Sätzen über Gott, also nicht auf der Ebene der Reflexion, sondern dort, wo nach Gott gerufen wird. ... Ich will den Kindern nicht eine Vorentscheidung über Gottes Existenz unterschieben – so fährt er fort, sondern ich will sie an den Ort führen, an dem sie selbst Erfahrungen machen können und daran urteils- und gesprächsfähig werden.“
Die Psalmen aus der Bibel sind diesem Religionslehrer also deshalb eine Hilfe, weil sie sich auf der Ebene der Anrede bewegen. In den Psalmen rufen Menschen nach Gott. Sie rufen aus den unterschiedlichsten Situationen heraus, in denen sie sich befinden. Und: In den Psalmen ist nicht nur von Gott die Rede, sondern von Feinden und Fremden, von Leben und Tod, von Gesundheit und Krankheit, von Leiden und Freuden – oft ohne Übergang. Die Gottesbilder der Psalmen – so das Resümee des Religionslehrers – können helfen, „im Leid nicht zu verstummen, in der Banalität des Alltags nicht abzustumpfen und (so) in der Hoffnung nicht kleinmütig zu werden.“ (J. Baldermann, Kinder entdecken sich selbst in den Psalmen“, zitiert aus Erich Zenger, Am Fuss des Sinai, Düsseldorf 1994, 124)
Auf den ersten Blick überrascht, was dieser Religionslehrer sagt. Seine Erläuterung jedoch leuchtet ein: Das Entscheidende am Gottesglauben von Menschen ist nicht das, was sie über Gott wissen – also „theologisch abgrenzende Sätze, die dazu anleiten, zwischen falschen und richtigen Gottesvorstellungen zu unterscheiden“ (ebd.) -, sondern entscheidend am Glauben ist, dass Menschen sich an Gott wenden, zu ihm rufen, in ansprechen, anrufen. Wie man das tun und lernen kann, zeigen die Psalmen. Sie sind bis heute für viele – Jugendliche und Erwachsene - die maßgeblichen Lehrmeister des Betens, des Sprechens zu Gott.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=1686
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