SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Als Kind hat für mich das Ritual beim Schlafengehen eine ganz große Rolle gespielt. Da musste alles stimmen: Das Licht durfte nicht zu hell, aber auch nicht ganz aus sein. Meinen Schutzengel, der immer auf dem Nachtisch stand,hab ich in die Hand genommen. Meine Mutter hat mir vorgelesen oder etwas erzählt. Und oft war da auch Musik: ein Lied, das wir gesungen haben, oder ein Stück von der Schallplatte.  

Von den klingenden Tönen geht auf mich bis heute eine besondere Kraft aus. Es gibt kaum etwas, das mich so im Innersten anrührt und bewegt. Das kann ein einzelnes Instrument sein oder der volle Klang eines großen Orchesters. Ob ein Lied von Reinhard Mey, ein Song der Beatles oder eine Wagner-Oper – Musik wirkt manchmal so heftig auf mich, dass ich die ganze Welt um mich vergesse. Es ist dann so, als ob sie mich heraus reißen würde aus all den Fragen und Problemen, die mich beschäftigen. Die Klänge tragen mich so, dass ich auf einer ganz anderen Ebene stehe und nicht mehr um mich selbst kreise. Ich will nicht zu dick auftragen, aber offen gestanden habe ich das schon wiederholt als eine Art Gotteserfahrung erlebt. In der Macht und Wirkung der Musik meine ich etwas von seiner Größe und der Zuneigung zu ahnen, in der ich mit meinem Leben gut aufgehoben bin. 

Am Abend, bevor ich ins Bett gehe, tut mir diese Wirkung besonders gut. Da hat sich gar nicht viel verändert gegenüber der Zeit, als ich Kind war. Und ich habe Lieblingsstücke, die mir helfen, den Tag loszulassen. Sie schenken mir Ruhe und Versöhnung.

Ein Lied gebe ich heute in Gedichtform an Sie weiter, in der Hoffnung, dass es Ihnen auch gut tut. Vorsingen kann ich es Ihnen leider nicht. Es stammtvon Hermann Hesse, und trägt sinnigerweise den Titel Beim Schlafengehen. Richard Strauss hat es wunderbar in seinen Vier Letzten Liedern vertont. Vielleicht wollen Sie es ja mal nachhören. 

 

Beim Schlafengehen 

Nun der Tag mich müd gemacht,
soll mein sehnliches Verlangen
freundlich die gestirnte Nacht
wie ein müdes Kind empfangen. 

Hände, lasst von allem Tun,
Stirn vergiss du alles Denken,
alle meine Sinne nun
wollen sich in Schlummer senken. 

Und die Seele unbewacht
will in freien Flügen schweben,
um im Zauberkreis der Nacht
tief und tausendfach zu leben.

 

 

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