SWR2 Wort zum Tag

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„Solange man unruhig ist, kann man ganz beruhigt sein.“ Der Schriftsteller Julien Green hat diesen Satz gesagt. Und der italienische Kardinal Ravasi hat ihn kürzlich zitiert, bei einem Treffen von Christen und Atheisten Ende November in Berlin. Und er hat damit die geistige, die weltanschauliche Unruhe gemeint. „Solange man unruhig ist, kann man ganz beruhigt sein.“ Das klingt widersprüchlich. Außerdem ist es nicht gerade angenehm, unruhig zu sein. Es heißt ja, dass ich suche, dass ich meinen Stand noch nicht gefunden habe. Geistige Unruhe kann einen aber auch weiterbringen. Ohne ein Stück Unruhe bewegt sich nichts im Denken, im Handeln, im Erkennen. In Berlin hat Unruhe das Gespräch zwischen Christen und Atheisten gefördert. Kardinal Ravasi hat dabei nicht nur Julien Green zitiert. Allein das ist schon erstaunlich. Hat Green doch die Unruhe exzessiv gelebt: protestantisch getauft ist er mit 15 katholisch geworden, hat sich dann dem Buddhismus zugewandt und ist mit fast 40 wieder katholisch geworden. Und er hat von Jugend an im Konflikt zwischen seiner Homosexualität und dem Glauben gestanden. Diesen unruhigen Geist hat der Kardinal also zitiert. Und er hat auch davon gesprochen, dass die Wahrheit nicht absolut ist, daß sie lebendig ist. Und dass wir sie nie sicher und ganz besitzen können. Sich das klarzumachen, verbindet redliche Gläubige und redliche Atheisten. Ravasi bringt an dieser Stelle auch noch den Begriff Demut ins Spiel, indem er nämlich Papst Franziskus zitiert. Der hat kürzlich an einen atheistischen Journalisten geschrieben: „Der Gläubige ist nicht arrogant, sondern demütig.“[1] Ich verstehe die Demut hier in einem zweifachen Sinn. Als Einsicht, dass ich bei all meinen guten Gründen für den Glauben immer noch erst am Anfang stehe. Und als Wissen, dass ich die Weisheit über Gott nicht gepachtet habe.

Das ist oft nicht leicht auszuhalten. Mit offenen Fragen leben. Antworten, die ich gefunden habe, als vorläufig sehen. Ernst nehmen, was andere denken, auch wenn es mir zunächst sehr fremd ist. Ich finde es tröstlich, was Julien Green gesagt hat: „Solange man unruhig ist, kann man ganz beruhigt sein“.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=16816
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