SWR3 Gedanken

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Mir ist ein krasses Gedicht begegnet, das mich ganz schön ins Nachdenken gebracht hat. Es stammt von Erich Fried und trieft vor Ironie. Es klingt wie ein Rezept. Als sei es ganz einfach, wie die Welt auf der Stelle gut sein könnte. Das Gedicht heißt „Die Maßnahmen“, hier ein Ausschnitt:

Die Faulen werden geschlachtet, die Welt wird fleißig;
Die Hässlichen werden geschlachtet, die Welt wird schön;
Die Narren werden geschlachtet, die Welt wird weise;
Die Kranken werden geschlachtet, die Welt wird gesund;
Die Traurigen werden geschlachtet, die Welt wird lustig;
Die Bösen werden geschlachtet, die Welt wird gut. 

Klingt wirklich ganz einfach. Wir merken aber auch ganz schnell, dass da was nicht stimmt, dass dieses Rezept so nicht aufgeht. Als erstes frage ich mich: Wer beurteilt denn, wer faul oder hässlich ist und deshalb geschlachtet werden soll. Ganz schnell bin ich da bei der Weltanschauung der Nazis. Die haben ja geglaubt zu wissen, welches Leben lebenswert ist und welches nicht. Und spätestens bei der Frage, wer krank, traurig oder böse ist, lande ich doch früher oder später auch bei mir selbst. 

Ich finde, dass all das, was Erich Fried in seinem Gedicht nennt, einfach zu unserem Leben dazu gehört: Natürlich habe ich mal einen faulen Tag. Und ich bin in den Augen mancher Menschen vielleicht auch hässlich. Dafür finden mich andere schön. Ich glaube auch, dass jeder mal auf dem Schlauch steht, krank, traurig und sogar böse ist. Für eine gute Welt im Sinne Erich Frieds bliebe also gar niemand übrig.  

Für mich ist das Gedicht damit zum Glück widerlegt. Und mir ist klar geworden, dass man nichts über einen Kamm scheren kann, dass es nicht nur schwarz und weiß gibt. Und dass unsere Welt zum Glück nicht perfekt ist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=16764
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