SWR2 Wort zum Tag

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Ende des vergangenen Jahres ist der Kabarettist Dieter Hildebrandt verstorben. Ein Mann, der wie kein zweiter die Geschichte der Bundesrepublik begleitet hat – mit  Sprachwitz und manchmal auch einem gehörigen Stück Frechheit.
Das erste Programm, mit dem er mit der „Lach- und Schießgesellschaft“ auf die Bühne ging, trug den Titel „Denn sie müssen nicht, was sie tun“. Ein Satz, den man genau hören muss. Wer die Bibel kennt, weiß, dieser Satz ist die verfremdete Version eines Wortes aus der Passionsgeschichte: „Denn sie wissen nicht, was sie tun“, sagt Jesus in der Stunde seiner Kreuzigung.
In der kabarettistischen Variante von Dieter Hildebrandt bezieht sich dieses Motto auf das Jahr 1956. „ Denn sie müssen nicht, was sie tun.“ Damals lief in Deutschland die Diskussion um Gründung der Bundeswehr. Der Bundesnachrichtendienst in Pullach nahm seine Arbeit auf. Das tausendjährige Reich zeigte noch manche Nachwirkungen. Und mancher schaute lieber starr nach vorne, als kritisch nach hinten. An vieles, was damals begann,  haben wir uns heute gewöhnt. Es ist Geschichte geworden. Oft auch Routine. Aber hätte nicht auch manches ganz anders laufen können? Und dann mit welchem Ergebnis?
„Denn sie müssen nicht, was sie tun“, verweist auf den Spielraum, den unser Handeln hat. Auf Freiheit. Darauf, dass nur weniges alternativlos ist. Ein phantasieloses Wort übrigens, das uns daran hindert, die Möglichkeiten, die wir haben, zu ergreifen.
„Denn sie müssen nicht, was sie tun“. Ich finde, dass in diesem Motto ein guter Impuls steckt für ein neues Jahr. Denn die Tür zu einem neuen Jahr öffnet den Raum zu vielen Möglichkeiten, im Persönlichen und  im Politischen.
Ich möchte jedenfalls nicht vor der geöffneten Tür verharren wie der Kanarienvogel meines Nachbarn, den ich manchmal betreue. Dieser Kanarienvogel bleibt nämlich auch bei geöffneter Tür auf seiner Stange sitzen. Die Freiheit ist ihm fremd geworden. Die Entfernung vom Futternapf erscheint ihm zu risikoreich.
Ich werde mein Leben im neuen Jahr nicht auf den Kopf stellen.  Aber auch nicht einfach weitermachen wie bisher. Manches, von dem ich dachte, ich müsse es tun, werde ich sein lassen. Und mich daran freuen, dass ich die Freiheit habe, künftig das Eine oder Andere anders zu machen. Weniger zu müssen. Und mehr zu wissen, was ich tue.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=16690
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