SWR2 Wort zum Tag

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Transitzeit – ein Wort, das ich bislang nicht kannte. Das ich aber an-regend finde. Was darunter zu verstehen ist, erfahre ich aus einem Interview mit dem Schauspieler Tom Hanks. Da wird er gefragt: „Mister Hanks, welche prägenden Erlebnisse haben Sie eigentlich zu dem Mann gemacht, der Sie heute sind?“
Und er antwortet: „Ich wuchs unter anderen Umständen auf als viele meiner Freunde. Meine Eltern ließen sich scheiden, als ich vier war. Beide haben danach mehrmals geheiratet – ich hatte also viele Stiefväter und –mütter. Nach der Trennung lebten die Eltern 280 Kilometer weit voneinander entfernt. Mit dem Bus eine Fahrt von mehr als fünf Stunden.“
Über diese langen Busfahrten sagt er: „Ich habe mich in eine imaginäre Welt hineinbegeben, habe mir Geschichten zu den Leuten überlegt, denen ich gegenübersaß, ihre Gesichter studiert. Manche haben mir ihre Geschichte erzählt. Für diese fünf Stunden waren sie meine Begleiter. Ich hatte wahnsinnig viel Transit-Zeit.“
Für Tom Hanks war die Transitzeit die Gelegenheit, das Leben zu studieren. Zeit um unterscheiden zu lernen zwischen Gut und Böse, Schwarz und Weiß. „Kaum etwas hat mich mehr geprägt als diese Busfahrten“, sagt er.
Und ich staune nicht schlecht. Alles Mögliche hätte ich angenommen, aber am wenigsten, dass das schlichte Busfahren eine solche Bedeutung und Kraft entwickeln könnte.
Transitzeit also, das ist die Möglichkeit, einen Schritt zurückzutreten von der Aufgeregtheit und Hektik des Lebens. Die Gelegenheit, Beobachtungen zu sammeln. Sich zum Beispiel zu fragen: Was war das für ein Jahr, das jetzt zu Ende geht? Welchen Menschen bin ich begegnet? Was habe ich durch sie und mit ihnen gelernt? Welche Impulse habe ich empfangen? Und welche ihrer Geschichten ist mir nachgegangen?
Transitzeit. „Wir gehen dahin und wandern von einem Jahr zum an-deren, wir leben und gedeihen vom alten bis zum neuen...“ heißt es in einem Lied von Paul Gerhardt. Noch haben wir das andere Ufer nicht erreicht. Befinden uns in der Transitzeit. Wir lassen den Film dieses Jahres vor unsrem inneren Auge noch einmal ablaufen. Verlangsamen seine Geschwindigkeit. Halten inne an wichtigen Stationen oder Zäsuren. Erinnern uns an das, was schwer war und schmerzlich. Nehmen das mit, was gut war und uns gestärkt hat. Und gehen mit diesem Vertrauen in ein neues Jahr.

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